Ein paar einleitenden Sätze, wie es zu diesem Beitrag kam, der erst einmal gar nicht auf der Agenda von Taumelland stand. Er behandelt drei Themen die unmittelbar wenig miteinander zu tun haben. Im ersten Teil geht es um die „Raum-Zeit“. Im zweiten um Walter Benjamin und künstliche Intelligenz. Der dritte Teil ist die Antwort meines Vaters auf meine Frage nach der Beschaffenheit des menschlichen Denkens. Irgendwie gehören diese drei Themen für mich zusammen. Weil, an einem Wintertag beim Fotografieren wanderten meine Gedanken von Einem zum Anderen.
Teil eins
Was ich nie verstanden habe und wohl auch nie verstehen werde, ist das auf Einstein zurückgehende Konzept der „Raum-Zeit“. Im Kern bedeutet die Theorie der „Raum-Zeit“, dass Ereignisse einfach sind.
Also, um ein Beispiel von Brian Greene* aufzugreifen: „Wenn Du dich Sylvester 1999 gut amüsiert hast, dann tut’s Du das noch immer“ und zwar – für immer! Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft sind laut Einstein eine Illusion – es gibt nur die Raum-Zeit in Ihrer Gesamtheit.
„Bei genauerem Hinschauen ähnelt der fließende Strom der Zeit eher einem riesigen Eisblock, in der jeder Augenblick auf ewig an seinem Platz festgefroren ist.“
Brain Greene Der Stoff aus dem der Kosmos ist
Was mich an dieser Verstellung schon immer beunruhigt hat war, dass damit ja eigentlich die Zukunft (die aus der Perspektive der Physik – eine Illusion ist) schon feststeht – also aus meiner Perspektive determiniert ist. Mir ist mein zukünftiges Schicksal zwar unbekannt, aber ich kann es trotzdem weder gestalten noch verändern, da es schon ist. Eine vollkommen irre Vorstellung!
Das Modell der Raum-Zeit hat aber ein Schlupfloch – da es nicht in der Lage ist „das Jetzt“ hinreichend zu beschreiben, etwas was dem menschlichen Bewusstsein mühelos gelingt.
Vielleicht haben wir ja auch noch mal Glück gehabt und unsere physikalischen Kenntnisse sind einfach noch nicht weit genug gediehen, um Zeit und Raum zu beschreiben ?
Teil zwei
Ich habe im letzten Jahr damit begonnen mich ein wenig mit künstlicher Intelligenz (AI) zu beschäftigen. Ein Punkt dabei ist das sogenannten „Machine Learning/Neural Network“. Grob gesagt also Programme, die sich auf Grund von einem gegebenen Input und einer ausstreichender Komplexität (autopoietisch) anfangen sich verändern und sich dabei „verbessern“ können (so zum Beispiel eine Gesichtserkennungs-Software).
Beunruhigend wird es dann, wenn angenommen wird, dass bei sehr komplexen Problemen – eine KI – objektivere und „richtigere“ Lösungen liefern kann. So die Idee man könnte die Klimakatastrophe mit dem Einsatz von KI managen, da sie quasi – als Maschine – objektiver und Interessen freier ist, als Menschen das je sein könnten.
Mir kam dazu Walter Benjamins „Engel der Geschichte“ in den Sinn.
„Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“
Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte
Wenn ich darüber nachdenke, dass wir diese ganzen AI’s – als Basis für Machine Learning/Neural Network – mit den Trümmern einer „katastrophalen“ Geschichte füttern und das auch noch als Fortschritt – hin zu einer „besseren“ Zukunft bezeichnen – wird mir ganz übel.
Auch in der Philosophie von Benjamin kommt ein ungewöhnlicher Zeitbegriff zum Ausdruck. So ist für Ihn sowohl die Zukunft wie die Vergangenheit liquide und werden in der jeweiligen „Jetztzeit“ von den Menschen immer wieder neu geschrieben. Bei Ihm scheint es wie bei Einstein auch nur ein „Jetzt“ zu geben, aber alles andere ist offen. Aber mit der Zukunft werde ich auch die Vergangenheit verändern und umgekehrt. So habe ich Benjamin wenigstens verstanden. Im Unterschied zu Einsteins Physik sind bei ihm also Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kein „Eisblock“ sondern eher ein Teppich der von der Menschheit permanent aufgedröselt und neu zusammengewebt gewebt wird. Dieses „weben“ wäre dann das was wir Zeit nennen?!
Teil drei
Aus irgendwelchen Gründen lösten das Nachdenken über diese beiden Themenkomplexe in mir die Frage aus, wie ist das eigentlich mit dem menschlichen Denken? kann man sich das eigene Denken aussuchen? Es ist klar, dass man sein eignes Denken nicht denken kann, aber kann man es auch nicht in „wohlgefällige Bahnen“ lenken und so verändern? Oder ist Denken deterministisch?! Bin ich dazu verdammt immer so zu denken wie ich denke?
Ich wandte mich mit diesen Fragen an meinen Vater der sich Zeit seines Lebens als Neuropathologe und auch darüber hinaus mit dem menschlichen Gehirn und dem menschlichen Geist beschäftigt hat. Im Folgenden könnt ihr seine Antwort auf meine Fragen lesen. Es ist sein zweiter Beitrag auf Taumelland den Ersten findet Ihr hier: Ein Traum von John
„Es ist gefährlich, wenn das Denken dem Ich gehorcht. Man darf sein Denken nicht zum Sklaven des Ich werden lassen. Ich glaube, daß die Gesetzmäßigkeiten des KARMA auch auf das Denken anzuwenden sind: Was ich jetzt denke, ist das Ergebnis all dessen, was ich bisher in meinem ganzen Leben erfahren, gedacht und getan habe; und was ich morgen denken werde beruht auf meinen gegenwärtigen Gedanken, Erfahrungen und Taten.Rückblickend – rückwirkend – kann ich die Basis meines heutigen Denkens nicht verändern; jedoch können aktuelle Erfahrungen die zukünftige Entwicklung des Denkens modulieren.
Nicht ICH denke; es denkt in mir und ich beobachte die Inszenierung der Denkgebinde wie in einem Theater. Die Energie für derartige Denkprozesse emergiert aus der Aufmerksamkeit, der Achtsamkeit, welche wir den Erfahrungen der äußeren und inneren Welten entgegenbringen. Begriffe sind wie Schauspieler in einer gelungenen Inszenierung; die Sprache ist ein genialer Regieeinfall. Den Autor der Inszenierung kennen wir nicht. Das Drama entwickelt sich wie die Formen und Muster bei einer Belusow-Zhabotinsky-Reaktion. „Dank der in der Reaktion ständig freiwerdenden Energie entspringt Ordnung aus dem Chaos.“ In diesem Zusammenhang sind es Gedanken.
Beobachter (Zuschauer) und Schauspieler agieren in wechselseitiger Abhängigkeit und erleben, wie dabei etwas Einzigartiges, völlig Neuartiges entsteht: ein freies Spiel. Aus der Physik wissen wir, daß das Beobachtete durch den Akt des Beobachtens verändert wird. So erfahren auch Gedanken eine Veränderung durch die Introspektion des Denkenden.
Eine achtsame Distanz des Denkenden zu seinen aus der Tiefe der Vergangenheit emergierenden Gedanken birgt die Möglichkeit einer Wandlung des Denkens und des Tuns und der Wahrnehmung; allerdings meist nur in sehr kleinen Schritten. Und so wie ein Wassertropfen – auf die Spitze eines Berges fallend- seinen Lauf ins Tal nicht beliebig verändern kann, nur in Nuancen, so ist auch eine radikale Neuorientierung des Denkens im Laufe des Lebens kaum möglich (der Wassertropfen müßte auf die andere Seite des Berges, jenseits der Wasserscheide). MATURANA und VARELA nannten dieses Phänomen „strukturelles Driften“.
Edgar Allan POE beschreibt in seinen Marginalien einen Zustand, in welchem man sich dieses denkenden Urgrunds gewahr wird; er nennt es Phantasien, weil sie meist nur flüchtig wahrgenommen werden und nicht von Dauer zu sein scheinen. Er weist auch darauf hin, daß diese wenig stabilen nuancenreichen Denkbewegungen einen kollektiven Charakter annehmen können.
„Doch giebt’s da auch noch Phantasien von exquisiter, zartester Feinheit, die man nicht als Gedanken bezeichnen kann und angesichts derer mir’s – bisher – absolut unmöglich gewesen, das passende Sprachkleid zu finden. Ich gebrauche das Wort Phantasien auf gut Glück und eigentlich nur, weil ich irgend eines Wortes bedarf. Der Begriff jedoch, den man gemeinhin mit diesem Ausdruck verbindet, trifft nicht einmal entfernt auf jene Schatten von Schatten zu, über die ich da rede. Sie scheinen mir nicht so sehr intellektueller denn seelischer Art zu sein, denn sie kommen aus der Seele (ach, selten genug!), und zwar nur in den Zeiträumen tiefster innerlicher Ruhe – nur wenn mein seelisches und leibliches Wohlbefinden in perfektem Einklange sind, …(p.733f)
Solches gesagt, möchte‘ ich aber beileibe nicht den Eindruck erwecken, als glaubte ich, jene Phantasien oder Impressionen der Seele, auf die ich hier angespielt, wären lediglich auf mein eigenes Selbst beschränkt, und nicht – um es kurz zu sagen – ein Gemein-Gut aller Menschen.“ (p.736)
Orson WELLES hat mich auf einer CD von Allan Parson’s Project auf diesen Text aufmerksam gemacht.
Gedanken sind oft unzulässige Vereinfachungen, welche nicht immer dazu dienen, sich in eine komplexe Wirklichkeit einzufügen. Diese mißliche Lage mit der Sprache zu erfassen, kann nicht gelingen; begriffliches (sprachliches) Denken wird den chaotischen Denkprozessen im Hintergrund nicht gerecht. Wahrscheinlich hat Samuel BECKETT aus diesem Grund in einigen seiner letzten Werke auf Sprache völlig verzichtet.
Die Surrealisten versuchen, diese Paradoxien in Worte und in Bilder zu fassen: „Das Unbeschreibliche hat keine bekannten Grenzen, aber es zeigt uns sehr gut die unsrigen auf.“ (Marcel HAVRENNE)“
Dr. jürgen Bohl – Vielen Dank sagt Taumelland!
*für alle die Das Thema mehr interessiert auf YouTube gibt unter dem Titel „Der Stoff aus dem der Kosmos ist“ eine sehenswerte vierteilige BBC Serie von Brain Greene. Glaubt mir das wird erst so richtig abgefahren mir der Theorie der Multiversen oder auch was er über „Schwarze Löcher“ erzählt, ist gelinde gesagt unvorstellbar.
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Vorbemerkung
Ein paar einleitenden Sätze, wie es zu diesem Beitrag kam, der erst einmal gar nicht auf der Agenda von Taumelland stand. Er behandelt drei Themen die unmittelbar wenig miteinander zu tun haben. Im ersten Teil geht es um die „Raum-Zeit“. Im zweiten um Walter Benjamin und künstliche Intelligenz. Der dritte Teil ist die Antwort meines Vaters auf meine Frage nach der Beschaffenheit des menschlichen Denkens. Irgendwie gehören diese drei Themen für mich zusammen. Weil, an einem Wintertag beim Fotografieren wanderten meine Gedanken von Einem zum Anderen.
Teil eins
Was ich nie verstanden habe und wohl auch nie verstehen werde, ist das auf Einstein zurückgehende Konzept der „Raum-Zeit“. Im Kern bedeutet die Theorie der „Raum-Zeit“, dass Ereignisse einfach sind.
Also, um ein Beispiel von Brian Greene* aufzugreifen: „Wenn Du dich Sylvester 1999 gut amüsiert hast, dann tut’s Du das noch immer“ und zwar – für immer! Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft sind laut Einstein eine Illusion – es gibt nur die Raum-Zeit in Ihrer Gesamtheit.
Was mich an dieser Verstellung schon immer beunruhigt hat war, dass damit ja eigentlich die Zukunft
(die aus der Perspektive der Physik – eine Illusion ist) schon feststeht – also aus meiner Perspektive determiniert ist. Mir ist mein zukünftiges Schicksal zwar unbekannt, aber ich kann es trotzdem weder gestalten noch verändern, da es schon ist. Eine vollkommen irre Vorstellung!
Das Modell der Raum-Zeit hat aber ein Schlupfloch – da es nicht in der Lage ist „das Jetzt“ hinreichend zu beschreiben, etwas was dem menschlichen Bewusstsein mühelos gelingt.
Vielleicht haben wir ja auch noch mal Glück gehabt und unsere physikalischen Kenntnisse sind einfach noch nicht weit genug gediehen, um Zeit und Raum zu beschreiben ?
Teil zwei
Ich habe im letzten Jahr damit begonnen mich ein wenig mit künstlicher Intelligenz (AI) zu beschäftigen.
Ein Punkt dabei ist das sogenannten „Machine Learning/Neural Network“. Grob gesagt also Programme, die sich auf Grund von einem gegebenen Input und einer ausstreichender Komplexität (autopoietisch) anfangen sich verändern und sich dabei „verbessern“ können (so zum Beispiel eine Gesichtserkennungs-Software).
Beunruhigend wird es dann, wenn angenommen wird, dass bei sehr komplexen Problemen – eine KI – objektivere und „richtigere“ Lösungen liefern kann. So die Idee man könnte die Klimakatastrophe mit dem Einsatz von KI managen, da sie quasi – als Maschine – objektiver und Interessen freier ist, als Menschen das je sein könnten.
Mir kam dazu Walter Benjamins „Engel der Geschichte“ in den Sinn.
Wenn ich darüber nachdenke, dass wir diese ganzen AI’s – als Basis für Machine Learning/Neural Network – mit den Trümmern einer „katastrophalen“ Geschichte füttern und das auch noch als Fortschritt – hin zu einer „besseren“ Zukunft bezeichnen – wird mir ganz übel.
Auch in der Philosophie von Benjamin kommt ein ungewöhnlicher Zeitbegriff zum Ausdruck.
So ist für Ihn sowohl die Zukunft wie die Vergangenheit liquide und werden in der jeweiligen „Jetztzeit“ von den Menschen immer wieder neu geschrieben. Bei Ihm scheint es wie bei Einstein auch nur ein „Jetzt“ zu geben, aber alles andere ist offen. Aber mit der Zukunft werde ich auch die Vergangenheit verändern und umgekehrt. So habe ich Benjamin wenigstens verstanden. Im Unterschied zu Einsteins Physik sind bei ihm also Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kein „Eisblock“ sondern eher ein Teppich der von der Menschheit permanent aufgedröselt und neu zusammengewebt gewebt wird. Dieses „weben“ wäre dann das was wir Zeit nennen?!
Teil drei
Aus irgendwelchen Gründen lösten das Nachdenken über diese beiden Themenkomplexe in mir die Frage aus, wie ist das eigentlich mit dem menschlichen Denken? kann man sich das eigene Denken aussuchen?
Es ist klar, dass man sein eignes Denken nicht denken kann, aber kann man es auch nicht in „wohlgefällige Bahnen“ lenken und so verändern? Oder ist Denken deterministisch?! Bin ich dazu verdammt immer so zu denken wie ich denke?
Ich wandte mich mit diesen Fragen an meinen Vater der sich Zeit seines Lebens als Neuropathologe und auch darüber hinaus mit dem menschlichen Gehirn und dem menschlichen Geist beschäftigt hat. Im Folgenden könnt ihr seine Antwort auf meine Fragen lesen. Es ist sein zweiter Beitrag auf Taumelland den Ersten findet Ihr hier: Ein Traum von John
„Es ist gefährlich, wenn das Denken dem Ich gehorcht. Man darf sein Denken nicht zum Sklaven des Ich werden lassen.
Ich glaube, daß die Gesetzmäßigkeiten des KARMA auch auf das Denken anzuwenden sind: Was ich jetzt denke, ist das Ergebnis all dessen, was ich bisher in meinem ganzen Leben erfahren, gedacht und getan habe; und was ich morgen denken werde beruht auf meinen gegenwärtigen Gedanken, Erfahrungen und Taten.Rückblickend – rückwirkend – kann ich die Basis meines heutigen Denkens nicht verändern; jedoch können aktuelle Erfahrungen die zukünftige Entwicklung des Denkens modulieren.
Nicht ICH denke; es denkt in mir und ich beobachte die Inszenierung der Denkgebinde wie in einem Theater. Die Energie für derartige Denkprozesse emergiert aus der Aufmerksamkeit, der Achtsamkeit, welche wir den Erfahrungen der äußeren und inneren Welten entgegenbringen. Begriffe sind wie Schauspieler in einer gelungenen Inszenierung; die Sprache ist ein genialer Regieeinfall. Den Autor der Inszenierung kennen wir nicht. Das Drama entwickelt sich wie die Formen und Muster bei einer Belusow-Zhabotinsky-Reaktion. „Dank der in der Reaktion ständig freiwerdenden Energie entspringt Ordnung aus dem Chaos.“ In diesem Zusammenhang sind es Gedanken.
Beobachter (Zuschauer) und Schauspieler agieren in wechselseitiger Abhängigkeit und erleben, wie dabei etwas Einzigartiges, völlig Neuartiges entsteht: ein freies Spiel. Aus der Physik wissen wir, daß das Beobachtete durch den Akt des Beobachtens verändert wird. So erfahren auch Gedanken eine Veränderung durch die Introspektion des Denkenden.
Eine achtsame Distanz des Denkenden zu seinen aus der Tiefe der Vergangenheit emergierenden Gedanken birgt die Möglichkeit einer Wandlung des Denkens und des Tuns und der Wahrnehmung; allerdings meist nur in sehr kleinen Schritten. Und so wie ein Wassertropfen – auf die Spitze eines Berges fallend- seinen Lauf ins Tal nicht beliebig verändern kann, nur in Nuancen, so ist auch eine radikale Neuorientierung des Denkens im Laufe des Lebens kaum möglich (der Wassertropfen müßte auf die andere Seite des Berges, jenseits der Wasserscheide). MATURANA und VARELA nannten dieses Phänomen „strukturelles Driften“.
Edgar Allan POE beschreibt in seinen Marginalien einen Zustand, in welchem man sich dieses denkenden Urgrunds gewahr wird; er nennt es Phantasien, weil sie meist nur flüchtig wahrgenommen werden und nicht von Dauer zu sein scheinen. Er weist auch darauf hin, daß diese wenig stabilen nuancenreichen Denkbewegungen einen kollektiven Charakter annehmen können.
„Doch giebt’s da auch noch Phantasien von exquisiter, zartester Feinheit, die man nicht als Gedanken bezeichnen kann und angesichts derer mir’s – bisher – absolut unmöglich gewesen, das passende Sprachkleid zu finden. Ich gebrauche das Wort Phantasien auf gut Glück und eigentlich nur, weil ich irgend eines Wortes bedarf. Der Begriff jedoch, den man gemeinhin mit diesem Ausdruck verbindet, trifft nicht einmal entfernt auf jene Schatten von Schatten zu, über die ich da rede. Sie scheinen mir nicht so sehr intellektueller denn seelischer Art zu sein, denn sie kommen aus der Seele (ach, selten genug!), und zwar nur in den Zeiträumen tiefster innerlicher Ruhe – nur wenn mein seelisches und leibliches Wohlbefinden in perfektem Einklange sind, …(p.733f)
Solches gesagt, möchte‘ ich aber beileibe nicht den Eindruck erwecken, als glaubte ich, jene Phantasien oder Impressionen der Seele, auf die ich hier angespielt, wären lediglich auf mein eigenes Selbst beschränkt, und nicht – um es kurz zu sagen – ein Gemein-Gut aller Menschen.“ (p.736)
Orson WELLES hat mich auf einer CD von Allan Parson’s Project auf diesen Text aufmerksam gemacht.
Gedanken sind oft unzulässige Vereinfachungen, welche nicht immer dazu dienen, sich in eine komplexe Wirklichkeit einzufügen. Diese mißliche Lage mit der Sprache zu erfassen, kann nicht gelingen; begriffliches (sprachliches) Denken wird den chaotischen Denkprozessen im Hintergrund nicht gerecht. Wahrscheinlich hat Samuel BECKETT aus diesem Grund in einigen seiner letzten Werke auf Sprache völlig verzichtet.
Die Surrealisten versuchen, diese Paradoxien in Worte und in Bilder zu fassen: „Das Unbeschreibliche hat keine bekannten Grenzen, aber es zeigt uns sehr gut die unsrigen auf.“ (Marcel HAVRENNE)“
Dr. jürgen Bohl – Vielen Dank sagt Taumelland!
*für alle die Das Thema mehr interessiert auf YouTube gibt unter dem Titel „Der Stoff aus dem der Kosmos ist“ eine sehenswerte vierteilige BBC Serie von Brain Greene. Glaubt mir das wird erst so richtig abgefahren mir der Theorie der Multiversen oder auch was er über „Schwarze Löcher“ erzählt, ist gelinde gesagt unvorstellbar.
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