Come closer and see
See into the trees
Find the girl
If you can*
Worum geht’s?
Der Taumelland Foto-Blog behandelt drei Themen: Waldeinsamkeit, Erinnerungshorte und Tischblumen.
Die Sujets Waldeinsamkeit und Erinnerungshorte entstammen beide dem 19.Jahrhundert – meiner Lieblingszeit – in dem sich die damals bekannte Welt radikal verwandelte und unsere Moderne aus dem Staub der gesellschaftlichen Verwerfungen heraus, langsam am Horizont Gestalt annahm.
Umgekehrt ruht die Gegenwart noch auf den Sedimenten des 19.Jahrhunderts:
Bis heute prägen uns Ideologien, Institution und gesellschaftlichen Praktiken die im 19. Jahrhundert ihren Ursprung nahmen.
Zwei davon behandelt dieser Blog: Erinnerungshorte und Waldeinsamkeit.
Erinnerungshorte meinen eigentlich alle Arten von Wissensschätzen wie Archive, Bibliotheken und Speichermedien im Sinne von “Kristallationskernen kollektiver Einbildungskraft“ (Osterhammel) – puh!
Allerdings kapriziere ich hier vor allem auf einen weiteren Wissenshort dem Museum – insbesondere auf das Kunstmuseum.
Hier kommen die Idee einer autonomen Kunst, der Gedanken eines „Wertes von Kunst“ und das „Ideal einer ästhetischen Gemeinschaft“ (Winkelman) aus Künstler, Sachverständigem und interessierten Laien zusammen – das ging und geht nicht immer gut aus!
„Waldeinsamkeit“, ein herrlicher Begriff – was auch immer er genau bedeuten mag – bei mir kriegt Ihr sie garantiert!
Niedergeschrieben hat sie zuerst der Romantiker Ludwig Tieck 1796.
Seitdem hat die „Waldeinsamkeit“ eine steile Karriere gemacht und es sogar zu einem Wikipedia Eintrag gebracht.
Waldeinsamkeit entstammt also der Romantik, jener geistig/politischen Strömung am Anfang des 19. Jahrhunderts die gleichsam rückwärtsgewandt eine Selbstermächtigung des Individuums evozierte, indem Sie die Grenzlinien zwischen Innerem und Äußerem zum oszillieren brachte.
Damit standen die Tore in beide Richtungen offen und bis heute hat niemand den passenden Schlüssel gefunden um sie wieder fest zuverschließen.
Naja vielleicht bis auf ein paar nerdige Akademiker aller Coleur, aber was wissen die schon von wahrer Waldeinsamkeit!
Augenscheinlich liegt die Bedeutung des Waldes sicherlich auch in der Tradition seiner gesellschaftspolitischen Interpretierbarkeit.
Den Deutschen wird allgemein eine besondere Affinität zum Wald nachgesagt, aber da bin ich mir persönlich nicht so sicher ob hier nicht das Messer mit dem Mörder verwechselt wurde und es führt an dieser Stelle auch zu weit……..
Fest steht auf jeden Fall, wen man in den Wald hineinhorcht dann schallen die Sagen, Märchen und Mythen nur so heraus. Vom „ Wirtshaus im Spessart“ bis zum „Räuber Hozenplotz“ – alles inklusive.
All das begann im 19.Jahrhundert, hier wurden die „songs from the wood“, erstmalig systematisch erfasst, katalogisiert und schriftlich fixiert.
Der Wald wird bewohnt von Hexen, Kobolden, Ents, Elben und allerlei anderen Zauberwesen.
Er ist der Ort der vornehmen Jagd, das Versteck heimtückischen Wegelagerer und wie schon angedeutet ein Wunderheiler und Seelenspiegel.
Ich gehe gerne in Ihm spazieren.
I hear her voice
and start to run
Into the trees
Into the trees
Into the trees
Ich gebe es freimütig zu und ich weiß auch, dass es Euch bestimmt schon in den Sinn kam, dem Taumelland Blog ist wie jedem Foto-Blog natürlich noch ein Thema immanent, dass ebenfalls aus dem 19. Jahrhundert herrührt – das Medium Fotografie selbst ist ein Kind jener Zeit.
Vor Ihrer Rezeptionsgeschichte kann sich kein Foto-Blog verstecken und sich ihren tradierten Praktiken kein Fotograf entziehen.
Fotografen sind selbst Waldbewohner die ihn vor lauter Bäumen nicht mehr wahrnehmen können.
Wenn Sie gut sind, dann wissen sie davon!
So möchte ich mit diesem Statement ehrenvoll kapitulieren und Euch den Rest überlassen.
Macht was draus!
Suddenly I stop
But I know it’s too late
I’m lost in a forest
All alone
Tischblumen oder besser gesagt – eine Tischblume – viel mir zum ersten Mal auf, als ich ein wenig vom Trubel genervt und ermüdet in einem IKEA Restaurant meine Blicke schweifen ließ.
Neugierig geworden habe ich seitdem angefangen Tischblumen, überall dort wo Sie mir unterkommen, zu fotografieren.
Irgendwann werde ich Euch mehr zu Tischblumen und ihren Beziehungen zu Raum, Trivialkultur und Sinnlichkeit sagen können, aber im Moment befindet sich die Bibliothek noch im Aufbau, der Wissenshort in seiner Genese. Begleitet mich dabei!
Meine Bilder entstehen in der Regel beim wandern, flanieren und besichtigen, wobei ich immer absichtsvoll unterwegs war und bin.
Die Waldfotos bilden da eine Ausnahme, sie sind stärker inszeniert, wenn ich kann suche ich Orte ein zweites Mal auf, ich warte auf schlechtes Wetter, oder das einzig wahre, fahle, miese Licht und vermeide „Fotostopps“ etc..
Ich fotografiere emotional und versuche oft mich mit einem gewissen Maß an kalkulierter Naivität zu überlisten. Außerdem begleitet mich die Freude an Theorie, deren Stütze mir unersetzlich ist.
Der Blog hat natürlich noch ein letztes Thema, aber wenn Ihr den Text bis hierher gelesen habt brauche ich Das wohl nicht mehr niederschreiben.
Ich freue mich (oder auch nicht) über Anregungen und Kritik von Euch, hoffe es berührt Euch und wünsche viel Spaß.
Marcus Bohl, März 2016
The girl was never there
It’s always the same
I’m running towards nothing
Again and again and again and again
*Zitat wie auch im folgenden: The Cure: a forest auf seventeen seconds (1980), dem curigsten aller Cure songs