Aussteigen an der S-Bahn Station Ostendstraße – mit der Rolltreppe geht’s nach oben, und ich stehe im Frankfurter Ostend. Von hier aus folge ich ein Stück der Hanauer Landstraße um dann nach rechts abzubiegen um den Weg zum Hafenpark einzuschlagen. Der soll ja der selbstgewählte Startpunkt meiner Wanderung entlang des Mains sein. Für den Weg brauche ich keine Navigationssoftware, denn ich weiß der Hafenpark befindet sich am Mainufer direkt neben dem „Sky Tower“ – dem Hauptsitz der Europäischen Zentralbank (EZB). Ich brauche nur nach oben zu schauen und kann mich an dem 185 Meter hohen Hochhaus orientieren – so einfach ist das hier! Mit jedem meiner Schritte ragt es höher in den strahlend blauen Himmel. Die gläserne Fassade des Hochhauses spiegelt das morgendliche Blau und die Konturen des Gebäudes verschmelzen mit dem strahlenden Azur des Morgenhimmels. Ah, daher kommt also der Name: „Sky Tower“. Zu diesem klaren, wolkenlosen Morgen passt auch, dass der Entwurf der EZB vom Architekturbüro Coop Himmelb(l)au aus Wien stammt. „Alles hängt mit allem zusammen“, das meinte schon Alexander von Humboldt.
Ich trete auf die Sonnemannstraße hinaus und ich blicke auf das Areal: die ehemalige Großmarkthalle und das Hochhaus, das von jeder Seite ein anderes Erscheinungsbild abgibt. Eigentlich handelt es sich bei dem „Sky Tower“ um zwei ineinander verdrehte Türme, die durch drei „Brücken“ miteinander verbunden worden sind. Die gesamte Konstruktion ist mit einer gemeinsamen Glasfassade umhüllt worden. Aus manchen Perspektiven erweckt das Hochhaus den Eindruck, dass es jeden Moment aus dem Gleichgewicht geraten und umstürzen könnte.
Außerdem entstand durch die Glas-Ummantelung der beiden Türmen ein dritter – aus „Negative Space“ – gebildeter Turm (das „Atrium“). Besonders gut zu sehen ist dieser optische Effekt bei Sonnenuntergang/in der Abenddämmerung, wenn die Fassade der EZB durch das schräg einfallende Sonnenlicht vollkommen transparent wird. Von der Osthafenbrücke aus – einem der beliebtesten „Fotospots“ für Aufnahmen von der Frankfurter Skyline – lässt sich dieser Effekt eindrucksvoll fotografieren. Wenn sich die milden Farben des Abendhimmels im Main spiegeln, die ersten Licher in den Hochhäusern angeschaltet worden sind und sich die Abendruhe über den Tag zu legen beginnt, dann wird die Silhouette von Frankfurt zum Sehnsuchtsort:
( … ) The lights are much brighter there You can forget all your troubles, forget all your cares So go downtown Things will be great when you’re downtown No finer place for sure downtown Everything’s waiting for you. ( … )
Downtown, Petula Clark, Downtown 1965
Entsprechend viele Fotograf*innen drängeln sich dann auch abends mal auf der Osthafenbrücke. Die der EZB näher gelegene Deutschherren Brücke ist auch ein guter „Sehnsucht“-Fotospot, hat aber den Nachteil, dass sie zu Vibrationen neigt, was einem eine Langzeitbelichtung schon mal verderben kann. Sinn und Unsinn von Fotospots wird Taumelland mal in einem gesonderten Beitrag beleuchten.
Das Areal der EZB wird von einem Landschaftspark umschlossen, der von dem Schweizer Landschaftsarchitektur Büro Vogt gestaltet wurde. Die Gestaltung der Parkanlage nimmt thematisch die Lage der EZB am Mainufer auf:
„The river Main embankment became the theme for the Landscape: naturally formed flood plains, steep slopes, plateaus and terraces, riverbeds and backwaters form an autonomous parkland environment which has replaced the inner-city wasteland around the ECB`s headquarters.” ( Zitat aus der ECB ART App)
Auf den angelegten Terrassen und Plateaus sind Haine angelegt worden und laut EZB mit überwiegend gebietseigener Vegetation bepflanzt worden. Das soll den Spaziergänger*innen im Park immer neuen Sinneseindrücke vermitteln. Wenn man denn im Park einfach so Spazierengehen könnte…. Die Landschaftsarchitektur lässt sich gut auch anders interpretieren. Von außen betrachtet, folgt die Anlage dem – auf Hagenbeck für seinen Hamburger Zoo entwickelten – Konzept des „gitterlosen Freigeheges“ . Nur dass hier nicht die Besucher – bei freier Sicht auf die Raubtiere- vor diesen geschützt werden sollen, sondern umgekehrt Banker vor vermeintlich „wilden“ Besuchern und anderen „Plagen“ der Außenwelt. Der Park ist wie beschrieben durchzogen von Wällen und Gräben. Die Haine fungieren als Sichtschutz und Poller schützen vor gewaltsamen Eindringen. Um es klar zu sagen: das Gelände und der Park ergeben eine Festung. Selbst die Glasscheiben des Hochhauses sind (ich weiß nicht ob das Projekt schon abgeschlossen worden ist) mit einer abhörsicheren Folie überzogen worden, die außerdem einen besseren Explosionsschutz gewährleistet. Die Intension liegt auf der Hand: In das Gelände der EZB soll nichts unkontrolliert hinein gelangen oder von dort nach außen dringen können. Aber man verwendet für die Abschottung halt keine einschüchternden stacheldrahtbewehrten Mauern mehr, sondern einen von einem luftigen Zaun umgebenen offen daliegenden Landschaftspark. Die größere räumliche Distanz macht auch den qualitativen Unterschied zum „Eurotower“, dem alten Sitz der EZB im Frankfurter Bankenviertel (heute Sitz der EZB- Bankenaufsicht). Hier konnten die Aktivist*innen der Occupy Bewegung 2011/12 noch am Fuße des Hochhauses ihr Protestcamp aufschlagen, das wäre an dem jetzigen Standort nicht mehr möglich. Mittlerweile habe ich die Sonnemanstraße überquert und laufe auf einem Betonweg zwischen Bahndamm und EZB auf den Park zu. Es ist einer der ersten schönen Tage im Jahr und ich habe meine Jacke ausgezogen. Ein leichter Wind streichelt meine Haut und die Frühlingssonne spendet mir Wärme.
Der Betonweg zum Hafenpark ist Teil der Erinnerungsstätte an die Deportation der 10.000 jüdischen Frankfurter Bürger. In den Weg eingelassen wurden Zitate von Opfern und Zeitzeugen. Die Gestapo hatte, da logistisch günstig gelegen, Räume in den Kellern der Großmarkthalle angemietet und von hier aus die Deportationen in die Konzentrations- und Vernichtungslager betrieben. Der Marktbetrieb ging davon unbeeindruckt einfach weiter. Ein in die EZB hineinreichendes Rampenbauwerk verbindet die Kellerräume der Großmarkthalle mit dem Weg zum Ostbahnhof. Die 400 Quadratmeter großen Kellerräume in dem die Menschen zusammengepfercht, beraubt und gequält wurden, sind nur nach vorheriger Anmeldung und bei einer Gruppenführung zu besichtigen, da sie nun auf dem Gelände er EZB liegen – die strenge Sicherheitsauflagen für das Betreten des Geländes macht. Formal handelt es sich bei der EZB sogar um „exterritoriales Gelände“ – einen Status wie ihn etwa eine Botschaft inne hat. Dahinter versteckt sich die EZB gerne. Auch in der restaurierten historischen Frankfurter Großmarkthalle – die in einer „Haus im Haus“ Bauweise ein Kongresszentrum und eine Kunstsammlung enthält – wäre durchaus genug Platz für alle möglichen öffentlichen Veranstaltungen, aber dazu fehlt sowohl die Bereitschaft als auch der Mut.
Bei der Architektur der EZB handelt es sich um einen – quer zu allen Kulturen – weltweit gebauten – „dekonstruktivistischen“ Stil. Die Architektur ist so ein direkter Ausfluss der Globalisierung. Die EZB schafft durch ihre phantastische Bauweise, das gewohnte Ambiente für eine internationale Machtelite, die sie ja auch beherbergt. Eine simulierte paradiesische Welt in der die Architektur suggeriert, dass alles machbar und jedes Ziel erreichbar ist. Es ist eine vor allem auch nach innen gerichtete Architektur, die ihre „Bewohner*innen“ und deren Aufgaben/Handlungen gleichsam „ästhetisiert“. So sammelt die EZB selbstverständlich auch Kunst – aber zu sehen bekommen die Sammlung nur „Zugehörige“; für alle anderen gibt es eine APP – die „ECB Art App“ (auf die ich mich für diesen Beitrag auch gestützt habe). Die Hauptkritik an dieser Art der Architektur ist, dass sie sowohl „ahistorisch“ wie auch „akulturell“ sei. Diesem Vorwurf nimmt die EZB den Wind aus den Segeln: Indem sie die Großmarkthalle („Kappeskathedrale“), die Erinnerungsstätte und auch ihre Verortung am Flussufer miteinbezieht und auch nach außen kommuniziert, nimmt sie durchaus Bezug auf die Frankfurter Geschichte und deren Besonderheiten. Auch ihrer “ökologischen“ Verantwortung wird das Bauwerk durchaus gerecht: Das Gebäude fängt zur eigenen Versorgung Regenwasser auf, die Abwärme des Rechenzentrums wird zur Beheizung der Büros genutzt und außerdem wird Geothermie zur Klimatisierung der Räume mit eingesetzt. Aber alle diese Bemühungen sind meiner Meinung nach nur der Öffentlichkeit gemachte Zugeständnisse die nicht über den Umstand hinwegtäuschen können, dass die EZB möglichst unbehelligt bleiben möchte und nichts mit der Außenwelt zu tun haben will.
Angekommen! Die Parkanlage zum Main hin erweitert optisch den Landschaftspark der EZB um eine öffentlichen Bereich. Hier befinden sich Sportanlagen – wie der Skaterpark, Liegewiesen, Bänke zum Ausruhen und Schwätzen, ein wenig Kunst etc.. Es ist die idyllische Frankfurter Version vom „Leben am Fluss“. Ich schlendere erstmal zum Getränkewagen des Cafe „Oosten“ und erwerbe „Corona konform“ eine überteuerte, lauwarme Limo. Damit setze ich mich ans Mainufer und lasse meine Füße über den Fluss baumeln. Neben mir telefoniert eine Frau auf Italienisch, ein paar Läufer*innen traben vorbei, ein Pärchen nutzt den historischen Hafenentladekran für ein Fotoshooting, Jemand liest in der Zeitung – es ist schön hier! Und nun wird mir auch klar, was für einer Inszenierung ich hier beiwohne und wovon ich quasi selbst ein Teil geworden bin: Es ist die Harmonisierung aller gesellschaftlichen Widersprüche durch Architektur! Das kann dann auch schon mal 1,3 Milliarden Euro kosten 😉
Ich bleibe noch eine Weile am Ufer sitzen und beschließe, dass ein Kapitel meiner Mainreise auch die schimmernden Wasser des Flusses porträtieren soll. So wie Roni Horn mit dem „Dictionary of Water“ der Themse ein Denkmal gesetzt hat. Der Main es verdient.
Wieder zu Hause angekommen fand ich noch ein prophetisches Zitat aus dem Jahre 1995 mit dem ich diesen Beitrag abschließen möchte:
„Allgegenwärtige Schönheit ist die realisierte Horrorvision einer Gesellschaft, die sich offensichtlich nur noch in der Maske der Perfektion ertragen kann, sei es der des Körpers, der Gesten, der Rede und der Texte, der Oberflächen oder der privaten und öffentlichen Selbstinszenierungen von Individuen und Politik. Als massenkulturell verinnerlichter Zwang erzeugt Schönheit in unserer Gesellschaft mittlerweile einen Anpassungsdruck, der das politische Zwangsverhältnis nicht mehr benötigt.“ (Franz Dröge, Michael Müller, Die Macht der Schönheit, Hamburg, EVA 1995)
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Aussteigen an der S-Bahn Station Ostendstraße – mit der Rolltreppe geht’s nach oben, und ich stehe im Frankfurter Ostend. Von hier aus folge ich ein Stück der Hanauer Landstraße um dann nach rechts abzubiegen um den Weg zum Hafenpark einzuschlagen. Der soll ja der selbstgewählte Startpunkt meiner Wanderung entlang des Mains sein.
Für den Weg brauche ich keine Navigationssoftware, denn ich weiß der Hafenpark befindet sich am Mainufer direkt neben dem „Sky Tower“ – dem Hauptsitz der Europäischen Zentralbank (EZB). Ich brauche nur nach oben zu schauen und kann mich an dem 185 Meter hohen Hochhaus orientieren – so einfach ist das hier! Mit jedem meiner Schritte ragt es höher in den strahlend blauen Himmel. Die gläserne Fassade des Hochhauses spiegelt das morgendliche Blau und die Konturen des Gebäudes verschmelzen mit dem strahlenden Azur des Morgenhimmels. Ah, daher kommt also der Name: „Sky Tower“. Zu diesem klaren, wolkenlosen Morgen passt auch, dass der Entwurf der EZB vom Architekturbüro Coop Himmelb(l)au aus Wien stammt. „Alles hängt mit allem zusammen“, das meinte schon Alexander von Humboldt.
Ich trete auf die Sonnemannstraße hinaus und ich blicke auf das Areal: die ehemalige Großmarkthalle und das Hochhaus, das von jeder Seite ein anderes Erscheinungsbild abgibt.
Eigentlich handelt es sich bei dem „Sky Tower“ um zwei ineinander verdrehte Türme, die durch drei „Brücken“ miteinander verbunden worden sind. Die gesamte Konstruktion ist mit einer gemeinsamen Glasfassade umhüllt worden. Aus manchen Perspektiven erweckt das Hochhaus den Eindruck, dass es jeden Moment aus dem Gleichgewicht geraten und umstürzen könnte.
Außerdem entstand durch die Glas-Ummantelung der beiden Türmen ein dritter – aus „Negative Space“ – gebildeter Turm (das „Atrium“). Besonders gut zu sehen ist dieser optische Effekt bei Sonnenuntergang/in der Abenddämmerung, wenn die Fassade der EZB durch das schräg einfallende Sonnenlicht vollkommen transparent wird. Von der Osthafenbrücke aus – einem der beliebtesten „Fotospots“ für Aufnahmen von der Frankfurter Skyline – lässt sich dieser Effekt eindrucksvoll fotografieren.
Wenn sich die milden Farben des Abendhimmels im Main spiegeln, die ersten Licher in den Hochhäusern angeschaltet worden sind und sich die Abendruhe über den Tag zu legen beginnt, dann wird die Silhouette von Frankfurt zum Sehnsuchtsort:
( … )
The lights are much brighter there
You can forget all your troubles, forget all your cares
So go downtown
Things will be great when you’re downtown
No finer place for sure downtown
Everything’s waiting for you.
( … )
Downtown, Petula Clark, Downtown 1965
Entsprechend viele Fotograf*innen drängeln sich dann auch abends mal auf der Osthafenbrücke. Die der EZB näher gelegene Deutschherren Brücke ist auch ein guter „Sehnsucht“-Fotospot, hat aber den Nachteil, dass sie zu Vibrationen neigt, was einem eine Langzeitbelichtung schon mal verderben kann. Sinn und Unsinn von Fotospots wird Taumelland mal in einem gesonderten Beitrag beleuchten.
Das Areal der EZB wird von einem Landschaftspark umschlossen, der von dem Schweizer Landschaftsarchitektur Büro Vogt gestaltet wurde. Die Gestaltung der Parkanlage nimmt thematisch die Lage der EZB am Mainufer auf:
„The river Main embankment became the theme for the Landscape: naturally formed flood plains, steep slopes, plateaus and terraces, riverbeds and backwaters form an autonomous parkland environment which has replaced the inner-city wasteland around the ECB`s headquarters.”
( Zitat aus der ECB ART App)
Auf den angelegten Terrassen und Plateaus sind Haine angelegt worden und laut EZB mit überwiegend gebietseigener Vegetation bepflanzt worden. Das soll den Spaziergänger*innen im Park immer neuen Sinneseindrücke vermitteln. Wenn man denn im Park einfach so Spazierengehen könnte….
Die Landschaftsarchitektur lässt sich gut auch anders interpretieren. Von außen betrachtet, folgt die Anlage dem – auf Hagenbeck für seinen Hamburger Zoo entwickelten – Konzept des „gitterlosen Freigeheges“ . Nur dass hier nicht die Besucher – bei freier Sicht auf die Raubtiere- vor diesen geschützt werden sollen, sondern umgekehrt Banker vor vermeintlich „wilden“ Besuchern und anderen „Plagen“ der Außenwelt. Der Park ist wie beschrieben durchzogen von Wällen und Gräben. Die Haine fungieren als Sichtschutz und Poller schützen vor gewaltsamen Eindringen. Um es klar zu sagen:
das Gelände und der Park ergeben eine Festung. Selbst die Glasscheiben des Hochhauses sind (ich weiß nicht ob das Projekt schon abgeschlossen worden ist) mit einer abhörsicheren Folie überzogen worden, die außerdem einen besseren Explosionsschutz gewährleistet. Die Intension liegt auf der Hand: In das Gelände der EZB soll nichts unkontrolliert hinein gelangen oder von dort nach außen dringen können. Aber man verwendet für die Abschottung halt keine einschüchternden stacheldrahtbewehrten Mauern mehr, sondern einen von einem luftigen Zaun umgebenen offen daliegenden Landschaftspark.
Die größere räumliche Distanz macht auch den qualitativen Unterschied zum „Eurotower“, dem alten Sitz der EZB im Frankfurter Bankenviertel (heute Sitz der EZB- Bankenaufsicht). Hier konnten die Aktivist*innen der Occupy Bewegung 2011/12 noch am Fuße des Hochhauses ihr Protestcamp aufschlagen, das wäre an dem jetzigen Standort nicht mehr möglich.
Mittlerweile habe ich die Sonnemanstraße überquert und laufe auf einem Betonweg zwischen Bahndamm und EZB auf den Park zu. Es ist einer der ersten schönen Tage im Jahr und ich habe meine Jacke ausgezogen. Ein leichter Wind streichelt meine Haut und die Frühlingssonne spendet mir Wärme.
Der Betonweg zum Hafenpark ist Teil der Erinnerungsstätte an die Deportation der 10.000 jüdischen Frankfurter Bürger. In den Weg eingelassen wurden Zitate von Opfern und Zeitzeugen. Die Gestapo hatte, da logistisch günstig gelegen, Räume in den Kellern der Großmarkthalle angemietet und von hier aus die Deportationen in die Konzentrations- und Vernichtungslager betrieben. Der Marktbetrieb ging davon unbeeindruckt einfach weiter. Ein in die EZB hineinreichendes Rampenbauwerk verbindet die Kellerräume der Großmarkthalle mit dem Weg zum Ostbahnhof. Die 400 Quadratmeter großen Kellerräume in dem die Menschen zusammengepfercht, beraubt und gequält wurden, sind nur nach vorheriger Anmeldung und bei einer Gruppenführung zu besichtigen, da sie nun auf dem Gelände er EZB liegen – die strenge Sicherheitsauflagen für das Betreten des Geländes macht. Formal handelt es sich bei der EZB sogar um „exterritoriales Gelände“ – einen Status wie ihn etwa eine Botschaft inne hat. Dahinter versteckt sich die EZB gerne. Auch in der restaurierten historischen Frankfurter Großmarkthalle – die in einer „Haus im Haus“ Bauweise ein Kongresszentrum und eine Kunstsammlung enthält – wäre durchaus genug Platz für alle möglichen öffentlichen Veranstaltungen, aber dazu fehlt sowohl die Bereitschaft als auch der Mut.
Bei der Architektur der EZB handelt es sich um einen – quer zu allen Kulturen – weltweit gebauten – „dekonstruktivistischen“ Stil. Die Architektur ist so ein direkter Ausfluss der Globalisierung. Die EZB schafft durch ihre phantastische Bauweise, das gewohnte Ambiente für eine internationale Machtelite, die sie ja auch beherbergt. Eine simulierte paradiesische Welt in der die Architektur suggeriert, dass alles machbar und jedes Ziel erreichbar ist. Es ist eine vor allem auch nach innen gerichtete Architektur, die ihre „Bewohner*innen“ und deren Aufgaben/Handlungen gleichsam „ästhetisiert“. So sammelt die EZB selbstverständlich auch Kunst – aber zu sehen bekommen die Sammlung nur „Zugehörige“; für alle anderen gibt es eine APP – die „ECB Art App“ (auf die ich mich für diesen Beitrag auch gestützt habe). Die Hauptkritik an dieser Art der Architektur ist, dass sie sowohl „ahistorisch“ wie auch „akulturell“ sei. Diesem Vorwurf nimmt die EZB den Wind aus den Segeln: Indem sie die Großmarkthalle („Kappeskathedrale“), die Erinnerungsstätte und auch ihre Verortung am Flussufer miteinbezieht und auch nach außen kommuniziert, nimmt sie durchaus Bezug auf die Frankfurter Geschichte und deren Besonderheiten. Auch ihrer “ökologischen“ Verantwortung wird das Bauwerk durchaus gerecht: Das Gebäude fängt zur eigenen Versorgung Regenwasser auf, die Abwärme des Rechenzentrums wird zur Beheizung der Büros genutzt und außerdem wird Geothermie zur Klimatisierung der Räume mit eingesetzt. Aber alle diese Bemühungen sind meiner Meinung nach nur der Öffentlichkeit gemachte Zugeständnisse die nicht über den Umstand hinwegtäuschen können, dass die EZB möglichst unbehelligt bleiben möchte und nichts mit der Außenwelt zu tun haben will.
Angekommen! Die Parkanlage zum Main hin erweitert optisch den Landschaftspark der EZB um eine öffentlichen Bereich. Hier befinden sich Sportanlagen – wie der Skaterpark, Liegewiesen, Bänke zum Ausruhen und Schwätzen, ein wenig Kunst etc.. Es ist die idyllische Frankfurter Version vom „Leben am Fluss“. Ich schlendere erstmal zum Getränkewagen des Cafe „Oosten“ und erwerbe „Corona konform“ eine überteuerte, lauwarme Limo. Damit setze ich mich ans Mainufer und lasse meine Füße über den Fluss baumeln. Neben mir telefoniert eine Frau auf Italienisch, ein paar Läufer*innen traben vorbei, ein Pärchen nutzt den historischen Hafenentladekran für ein Fotoshooting, Jemand liest in der Zeitung – es ist schön hier! Und nun wird mir auch klar, was für einer Inszenierung ich hier beiwohne und wovon ich quasi selbst ein Teil geworden bin: Es ist die Harmonisierung aller gesellschaftlichen Widersprüche durch Architektur! Das kann dann auch schon mal 1,3 Milliarden Euro kosten 😉
Ich bleibe noch eine Weile am Ufer sitzen und beschließe, dass ein Kapitel meiner Mainreise auch die schimmernden Wasser des Flusses porträtieren soll. So wie Roni Horn mit dem „Dictionary of Water“ der Themse ein Denkmal gesetzt hat. Der Main es verdient.
Wieder zu Hause angekommen fand ich noch ein prophetisches Zitat aus dem Jahre 1995 mit dem ich diesen Beitrag abschließen möchte:
„Allgegenwärtige Schönheit ist die realisierte Horrorvision einer Gesellschaft, die sich offensichtlich nur noch in der Maske der Perfektion ertragen kann, sei es der des Körpers, der Gesten, der Rede und der Texte, der Oberflächen oder der privaten und öffentlichen Selbstinszenierungen von Individuen und Politik. Als massenkulturell verinnerlichter Zwang erzeugt Schönheit in unserer Gesellschaft mittlerweile einen Anpassungsdruck, der das politische Zwangsverhältnis nicht mehr benötigt.“
(Franz Dröge, Michael Müller, Die Macht der Schönheit, Hamburg, EVA 1995)
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