Geliebte – ungeliebte Heimat

Oli zu Hause

 

Stadtrundgang: Taumelland hat sich von Oliver Schneider nach Mainz-Kastel und Mainz-Kostheim entführen lassen:

„Ich wohne schon mein ganzes Leben hier. Zuerst in Kostheim dann hier in Kastel, und geboren bin ich in Mainz – im schönen Mainz.

Wohnhaus Mainz-Kastel

Kastel wurde im Krieg komplett zerstört und in der Mainzer Straße, in der ich heute lebe, stand kein Haus mehr. Unser Haus wurde nach dem Krieg von meinem Ur-Opa wieder aufgebaut.
Ich hänge an dem Haus aber nicht bedingungslos, das ist ein Haus, das wahrscheinlich viel Arbeit macht in Zukunft, weil viel einfach renovierungsbedürftig ist, also im Grundsatz möchte ich da schon Leben und wohnen bleiben, aber klar, wenn ich jetzt die Wahl hätte irgendwo in Eltville zu wohnen oder im Taunus hinten in einem schönen Haus, würde ich das wahrscheinlich wahrnehmen.
Das war [vor dem Krieg] schon sehr bürgerlich in Kastel.
Das hatte früher, wenn man sich so alte Bilder anschaut, so einen städtebaulichen Charakter wie jetzt vielleicht die Altstadt von Mainz. Also vier- bis fünfstöckige Gebäude und halt viel gut betuchtes Bürgertum. Vor dem Krieg ging eine Straßenbahn von Mainz über die Theodor-Heus-Brücke nach Kastel. Nach dem Krieg war die dann weg.

Das eigentliche Problem von unserem schlechten Ruf in Kastel und Kostheim ist, dass die meisten ja immer nur die Wiesbadener Landstraße durch Kastel fahren oder die Bölcke Straße und denken, dass alles so aussieht, aber das ist ja nur eine Seite von vielen…und auf der Rückseite von der Wiesbadener Straße sieht es völlig anders aus., … da fahren wir jetzt mal ein Stück lang.

Im Sommer ist es am Rhein fast ein bisschen wie in Italien, es hat schon was Mediterranes …irgendwie hänge ich am Rhein. Das ist mit ein Grund, warum wir hier geblieben sind – also einer von vielen Gründen.

Bäckerplätzchen

Bäckerplatz

Bäckerplätzchen, Mainz-Kastel

Das ist jetzt das Bäcker-Plätzchen, und da wird halt gern getratscht, da vorne ist auch ein richtig guter Bäcker, der backt auch noch selbst, richtiges Brot nicht nur Backmischung, und es ist auch immer ganz putzig, wenn man da morgens reingeht Da stehen dann die alten Leute und halten ihren Tratsch. Also es ist einfach so ein Plätzchen, wo man sich trifft und wo es auch ganz nett ist.

Wiener Platz

Österreicher Viertel

Österreicher Viertel

So wir sind jetzt am Wiener Platz, das ist im Österreicher Viertel. So ist das umgangssprachlich genannt worden. Die Straßen haben alle Städtenamen aus Österreich, Linzer Straße, Klagenfurter Straße, Innsbrucker Straße, Salzburger Straße, und das ist im Grunde genommen ein Arbeiterviertel, was so ein bisschen durchmischt ist mit Einfamilienhäusern und mit Siedlungsbau.

Die Leute haben bei „der Linde“ gearbeitet. In Kostheim war ja ein großes Lindewerk, was mittlerweile seit über zehn Jahren brach liegt, da haben viele gearbeitet. Dann in der Papierfabrik, die es noch gibt, früher APURA, jetzt heißt sie SCA, die stellen die „TEMPOS“ her.
Früher gab es noch den Holzhof und eine kleine Werft unten am Rhein, da hat mein Opa noch gearbeitet.
Wie gesagt, entstanden ist das alles in der Nachkriegszeit, weil hier alles platt war und das hier ist im Grunde genommen so ein Platz an dem das Leben stattfindet.
Viele kleine Geschäfte relativ ruhig und eigentlich auch so – ein ganz hübscher Platz.

Kindertreff und Sport

Also hier ist ein Ort der Bewegung und der Begegnung, auf der einen Seite der KIKO der Kindertreff Kostheim in einem schönen alten Gebäude, da ist die Maria, die geht dort vormittags in die Kinderbetreuung. Der KIKO ist im Grunde genommen wie so ein Kindergarten oder eine KITA, und nachmittags ist er dann für alle Kinder von hier offen.
Der Spielplatz ist frei zugänglich, und es gibt immer ein Kinder- und Jugendprogramm.
Dahinten ist die neue Sporthalle, das ist eine supermoderne Halle, für Handball, Volleyball etc.. und auf der anderen Seite ist der neue AWO Kindergarten. Also hier wurde viel investiert die letzten Jahre.

Little Italy

Kirschgarten Viertel Mainz-Kostheim

Kirschgartenviertel

Das ist der alte Kirchgarten, das ist auch eine Arbeitersiedlung von der Papierfabrik, aber ich sage immer little Italy dazu, weil die Gassen so eng sind und die Häuser so schief und bunt und alles so ein bisschen chaotisch ist, mir gefällt das echt gut.
Eigentlich müsste unser Haus hier stehen, in Kastel sind die Gassen eigentlich viel zu breit für unser Haus.

Landschaften

Theodor-Heuss-Brücke

Rhein, Theodor-Heuss-Brücke

Ich mag solche Landschaften, das sind ehrliche Landschaften, das ist einfach eine Region, in der die Menschen leben, in der Sie mit der Landschaft leben, die halt da ist, die jetzt nicht irgendwie übermäßig geschönt ist und auch nicht irgendwie zurecht gebastelt, dass sie jedem gefällt, sondern es ist einfach eine Landschaft, die den Alltag ausmacht.
In anderen Regionen da ist die Landschaft bestimmt oft sehr viel schöner, aber es ist halt dann manchmal auch so ein bisschen zurecht gemacht. Ja also jetzt wenn ich an viele Regionen denke, die ich in den Alpen kennen gelernt hab, die sind überwältigend schön, aber wenn man genauer hinschaut, ist das nichts anderes wie eine wunderschön herausgeputzte „Tourismusindustrie-Landschaft“ ,und hier ist es einfach ehrlich.

Badestelle am Min

Badestelle am Main

Heimat

 

Ich denke für den Einen ist die Heimat dort, wo seine sozialen Wurzeln sind, und auch mir ist der Freundes/ Bekanntenkreis und die Familie auch wichtig. Aber ich habe auch Freunde in Süddeutschland und in der Schweiz. Ich könnte also auch durchaus woanders wohnen, also allein das soziale Umfeld ist es für mich nicht.
Für mich ist das halt eher so diese Verbundenheit mit dem Boden,  ich mag auf eine bestimmte Art diese Landschaft hier.

Altes Bahnwärterhäuschen

Altes Bahnwärterhäuschen

Mit dieser Landschaft meine ich nicht Kastel alleine, sondern ich mag einfach den Rhein und die Landschaft drum rum:
Die Mittelgebirge , das Mittelrheintal,  ich mag so dieses etwas heitere Südländische, und ich mag aber auch so den melancholischen Herbst, wenn alles so ein bisschen schwermütig wird, das ist einfach schön hier und was wir hier haben, ist wirklich erstaunlich. Wir haben zwei schöne Städte  – naja eineinhalb schöne Städte –  und wir haben trotzdem wahnsinnig viel Grün drumherum.
Also wir haben das Urbane und trotzdem haben wir auch richtige Natur und das halt auf engsten Raum. Bei uns du fährst raus! Du kannst in jede Richtung fahren, hinter Mainz die Streuobstwiesen die Weinberge, am Rhein lang , du kannst hier hinten raus fahren [Richtung Taunus] der Taunus, die Wälder das gefällt mir halt einfach gut.

Perspektiven

Insgeheim hoffe ich, dass es hier so bleibt, wie es ist. Es gibt schon so ein paar Ecken, die dürften ruhig netter werden. Am Rhein kann man viel noch verschönern, da gibt es ein paar Schandflecken, und ich denke, Kastel/Kostheim haben auch schon soziale Probleme, die müssten Sie in den Griff bekommen. Aber im Großen und Ganzen würde ich mir eigentlich wünschen, dass es so bleibt, wie es ist.
Also ich möchte nicht, dass es so eine Entwicklung gibt wie jetzt drüben in Mainz, dass da auf einmal unbezahlbarer Wohnraum für Superreiche am Rhein entsteht. Ich habe auch kein Interesse dran das Kastel zum riesen Gewerbepark von Wiesbaden mutiert, da gibt es ja Pläne für das  Ostfeld. Die planen ja, das ganze Ostfeld bis hoch nach Erbenheim mittel bis langfristig zu erschließen.
Da habe ich gar kein Interesse dran also von mir aus könnte das im Großen und Ganzen so bleiben wie es ist,  weil das eigentlich seinen Reiz hat. Ja, aber wahrscheinlich wird es in den nächsten Jahrzehnten ein sehr urbaner Raum, weil das hier alles super zentral liegt, und es spricht sich auch langsam rum, dass es auch attraktiv ist hier zu leben.“

taumelland bedankt sich bei: Oliver Schneider/ ollischneider.de

Abendstimmung über Mz-Kostheim

Abendstimmung über Mz-Kostheim

Comments (1)

  1. Die Schönheit von Kostheim erschließt sich einem am Besten, wenn man zu Fuß durch alte und enge Gassen geht. Hier scheint es oft so, als sei die Zeit stehen geblieben. Und das ist etwas ganz Besonderes.

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