Claudia Walde, Wandering Thoughts, Waschraum, Museum Reinhard Ernst, Wiesbaden Juli 2025
Den Grundton des Museums Reinhard Ernst bildet sich aus der Erinnerung
Hey hey, my my, Rock and roll can never die There’s more to the picture,Than meets the eye Hey hey, my my
Hey,Hey, My My (Into the black), Neil Young, Rust Never Sleeps 1979
Taumelland freut sich ein weiters Mal Klaus Dettke als Gastautor gewonnen zu haben
Klaus Dettke Meine Wege zur Kunst und mit der Kunst
Ein kurz gefasster Überblick
Als der zweite Weltkrieg zu Ende war, war ich knapp vierzehn Jahre alt. Zuvor gab es Kunst nur in Lesebüchern der Schule zu sehen, hauptsächlich Bilder der deutschen Romantik, jedenfalls aus dem 19. Jahrhundert, evtl. Walther von der Vogelweide aus dem Codex Manesse, um 1300. Vielleicht gab es auch Bilder der Volkskunst oder die der NS-Kunst. Deutliche Erinnerungen habe ich keine.
Bernhard Schultze, Kraken Migof, Museum Reinhard Ernst, Wiesbaden Juli 2025
Nach 1945 gab es für mich gar keine Kunst zu sehen. Schulbücher gab es zunächst nicht. Ich war ab 1946 Schüler an der Realschule Herborn im Dillkreis. Wir lernten das, was die Lehrer vortrugen oder an die Tafel schrieben. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass die ersten Schulbücher nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Mai 1949 Abbildungen von Kunstwerken enthielten. In der Kleinstadt Herborn gab es keine moderne Kunst. Um – nach dem Wunsch meines Vaters – Lehrer werden zu können, musste ich die Schule wechseln und besuchte bis zum Abitur im Jahre 1954 das Realgymnasium Dillenburg (auch eine Kleinstadt) im neugebildeten Bundesland Hessen. Was weltweit an Kunst geschah, erfuhren wir Schüler auch dort nicht. Im Kunstunterricht mussten wir die Entwicklung der Baustile in Deutschland lernen. Ich erinnere mich, dass ein Mitschüler den Grundriss des Mainzer Domes an die Tafel zeichnete und unser Kunstlehrer, Dr. Bauer, ihn tadelte mit den Worten: „Aber Menschenskind, Weyer, das ist doch Mainz 1.“ Wahrscheinlich war es die Aufgabe, den Grundriss von „Mainz 2“ zu zeichnen. Das Zitat ist überliefert in der Sammlung von Erinnerungen an die Schulzeit aus dem Jahr des Abiturs. Ich selbst blieb mit solchen Fragen nach historischen Grundrissen unbehelligt. In seinen Augen galt ich als guter Zeichner und deshalb bekam ich eh die Bestnote im Zeugnis. Ein anderer Lehrer zeigte uns in seinem Unterricht ein gerahmtes Bild, das irgendwie in seinen Besitz gekommen war, mit der Bemerkung: „Das, was ihr hier seht, ist moderne Kunst“. Aha! Wir sahen eine Art Landschaft. Etwas sollte wohl ein Haus darstellen, etwas anderes einen Baum. Wir konnten damit nichts anfangen. Was ist daran Kunst und was ist das Moderne? Es blieb Ahnungslosigkeit.
Tageslicht, Museum Reinhard Ernst, Wiesbaden, Juli 2025
Aber dann: 1955 (also ein Jahr nach dem Abitur) die documenta I in Kassel! Weltbewegend für mich und sicher für die meisten Deutschen, die sich für Kunst interessierten. Gezeigt wurden Werke der Klassischen Moderne, so sagt man heute. Ich studierte im ersten Semester am Pädagogischen Institut in Weilburg/Lahn. Mein Hauptfach war Kunst. Selbstverständlich fuhr ich hin und erlebte Unfassbares: Werke von Picasso, Chagall, Max Beckmann, Otto Dix, den Malern der Brücke, des Blauen Reiters, des Surrealismus, dazu die bedeutendsten Bildhauer der Moderne: Henry Moor, Marino Marini, Barbara Hepworth … insgesamt die bedeutendsten Künstler der ganzen (westlichen) Welt. Zu dieser Welt wollte ich gehören als Lernender, informativ und auch produktiv. Der Surrealismus – erinnere ich mich – hat es mir wohl am meisten angetan. Deren Umgang mit dem Rätselhaften, auch Unbewussten, prägten eine Zeitlang meine eigenen Arbeiten. In der Folgezeit besuchte ich viele Ausstellungen der klassischen Moderne, wie auch die der Zeitgenossen. Einen neuen Begeisterungssturm erlebte ich mit dem Aufkommen des Informell. Andere Bezeichnungen (mitunter andere Stilrichtungen derselben oder ähnlichen Kunstauffassungen) waren Tachismus, Lyrische Abstraktion, Abstrakter Expressionismus. Erste Begegnungen erlebte ich mit dem Besuch der documenta II. Meine Favoriten der damaligen Zeit waren Wols, Georges Mathieu (Frankreich), Emil Schumacher, Bernhard Schultze (Deutschland), dazu Otto Herbert Hajek als deutscher Bildhauer. Nur wenige davon nenne ich hier. Es waren viele. Immer wieder wechselten die dominierenden Stilrichtungen. Es kam die Popart, die Postmoderne. Ständig musste ich lernen, in welcher Art und Weise Kunst auf verändertes soziales und philosophisches Bewusstsein reagierte, aber solches auch beförderte.
„Call me Ishmael” (Frank Stella -Moby Dick Serie) Museum Reinhard Ernst, Wiesbaden, 2025
Beruflich hatte ich immer vorrangig mit Kunst zu tun: Als Volksschullehrer mit dem Hauptfach Kunst, als Studienrat an Pädagogischen Fachinstituten in Wiesbaden und Fulda, dort beauftragt mit der Ausbildung von Kunstlehrern für die Primarstufe und Sekundarstufe 1 des Hessischen Schulwesens, danach als Oberstudienrat an der Fachoberschule für Gestaltung in Wiesbaden, zum Schluss am Oberstufengymnasium am Moltkering (später Martin Niemöllerschule) als Kunstlehrer für Grund- und Leistungskurse – mit der Abiturprüfung am Ende des 13. Schuljahres.
Jetzt bin ich schon 33 Jahre im Ruhestand. Im Juni des vorigen Jahres eröffnete das Museum Reinhard Ernst mit einer umfangreichen Sammlung von abstrakter Kunst. Beim Rundgang durch die Räume erlebe ich eine Wiederentdeckung mancher Werke oder sie rufen Erinnerungen wach an eine Kunst, die für mich einmal sehr bedeutsam war. Das ist spannend.
Wiesbaden Mai 2025
Vielen Dank Klaus! Einen weiteren Beitrag von Klaus Dettke findet ihr hier 40 Jahre „7000 Eichen“
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Den Grundton des Museums Reinhard Ernst bildet sich aus der Erinnerung
Taumelland freut sich ein weiters Mal Klaus Dettke als Gastautor gewonnen zu haben
Klaus Dettke Meine Wege zur Kunst und mit der Kunst
Ein kurz gefasster Überblick
Als der zweite Weltkrieg zu Ende war, war ich knapp vierzehn Jahre alt. Zuvor gab es Kunst nur in Lesebüchern der Schule zu sehen, hauptsächlich Bilder der deutschen Romantik, jedenfalls aus dem 19. Jahrhundert, evtl. Walther von der Vogelweide aus dem Codex Manesse, um 1300. Vielleicht gab es auch Bilder der Volkskunst oder die der NS-Kunst. Deutliche Erinnerungen habe ich keine.
Nach 1945 gab es für mich gar keine Kunst zu sehen. Schulbücher gab es zunächst nicht. Ich war ab 1946 Schüler an der Realschule Herborn im Dillkreis. Wir lernten das, was die Lehrer vortrugen oder an die Tafel schrieben. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass die ersten Schulbücher nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Mai 1949 Abbildungen von Kunstwerken enthielten. In der Kleinstadt Herborn gab es keine moderne Kunst. Um – nach dem Wunsch meines Vaters – Lehrer werden zu können, musste ich die Schule wechseln und besuchte bis zum Abitur im Jahre 1954 das Realgymnasium Dillenburg (auch eine Kleinstadt) im neugebildeten Bundesland Hessen. Was weltweit an Kunst geschah, erfuhren wir Schüler auch dort nicht. Im Kunstunterricht mussten wir die Entwicklung der Baustile in Deutschland lernen. Ich erinnere mich, dass ein Mitschüler den Grundriss des Mainzer Domes an die Tafel zeichnete und unser Kunstlehrer, Dr. Bauer, ihn tadelte mit den Worten:
„Aber Menschenskind, Weyer, das ist doch Mainz 1.“
Wahrscheinlich war es die Aufgabe, den Grundriss von „Mainz 2“ zu zeichnen. Das Zitat ist überliefert in der Sammlung von Erinnerungen an die Schulzeit aus dem Jahr des Abiturs. Ich selbst blieb mit solchen Fragen nach historischen Grundrissen unbehelligt. In seinen Augen galt ich als guter Zeichner und deshalb bekam ich eh die Bestnote im Zeugnis.
Ein anderer Lehrer zeigte uns in seinem Unterricht ein gerahmtes Bild, das irgendwie in seinen Besitz gekommen war, mit der Bemerkung: „Das, was ihr hier seht, ist moderne Kunst“. Aha!
Wir sahen eine Art Landschaft. Etwas sollte wohl ein Haus darstellen, etwas anderes einen Baum. Wir konnten damit nichts anfangen. Was ist daran Kunst und was ist das Moderne?
Es blieb Ahnungslosigkeit.
Aber dann: 1955 (also ein Jahr nach dem Abitur) die documenta I in Kassel! Weltbewegend für mich und sicher für die meisten Deutschen, die sich für Kunst interessierten. Gezeigt wurden Werke der Klassischen Moderne, so sagt man heute. Ich studierte im ersten Semester am Pädagogischen Institut in Weilburg/Lahn. Mein Hauptfach war Kunst. Selbstverständlich fuhr ich hin und erlebte Unfassbares: Werke von Picasso, Chagall, Max Beckmann, Otto Dix, den Malern der Brücke, des Blauen Reiters, des Surrealismus, dazu die bedeutendsten Bildhauer der Moderne: Henry Moor, Marino Marini, Barbara Hepworth … insgesamt die bedeutendsten Künstler der ganzen (westlichen) Welt. Zu dieser Welt wollte ich gehören als Lernender, informativ und auch produktiv. Der Surrealismus – erinnere ich mich – hat es mir wohl am meisten angetan. Deren Umgang mit dem Rätselhaften, auch Unbewussten, prägten eine Zeitlang meine eigenen Arbeiten.
In der Folgezeit besuchte ich viele Ausstellungen der klassischen Moderne, wie auch die der Zeitgenossen.
Einen neuen Begeisterungssturm erlebte ich mit dem Aufkommen des Informell. Andere Bezeichnungen (mitunter andere Stilrichtungen derselben oder ähnlichen Kunstauffassungen) waren Tachismus, Lyrische Abstraktion, Abstrakter Expressionismus. Erste Begegnungen erlebte ich mit dem Besuch der documenta II. Meine Favoriten der damaligen Zeit waren Wols, Georges Mathieu (Frankreich), Emil Schumacher, Bernhard Schultze (Deutschland), dazu Otto Herbert Hajek als deutscher Bildhauer. Nur wenige davon nenne ich hier. Es waren viele.
Immer wieder wechselten die dominierenden Stilrichtungen. Es kam die Popart, die Postmoderne.
Ständig musste ich lernen, in welcher Art und Weise Kunst auf verändertes soziales und philosophisches Bewusstsein reagierte, aber solches auch beförderte.
Beruflich hatte ich immer vorrangig mit Kunst zu tun: Als Volksschullehrer mit dem Hauptfach Kunst, als Studienrat an Pädagogischen Fachinstituten in Wiesbaden und Fulda, dort beauftragt mit der Ausbildung von Kunstlehrern für die Primarstufe und Sekundarstufe 1 des Hessischen Schulwesens, danach als Oberstudienrat an der Fachoberschule für Gestaltung in Wiesbaden, zum Schluss am Oberstufengymnasium am Moltkering (später Martin Niemöllerschule) als Kunstlehrer für Grund- und Leistungskurse – mit der Abiturprüfung am Ende des 13. Schuljahres.
Jetzt bin ich schon 33 Jahre im Ruhestand. Im Juni des vorigen Jahres eröffnete das Museum Reinhard Ernst mit einer umfangreichen Sammlung von abstrakter Kunst. Beim Rundgang durch die Räume erlebe ich eine Wiederentdeckung mancher Werke oder sie rufen Erinnerungen wach an eine Kunst, die für mich einmal sehr bedeutsam war. Das ist spannend.
Wiesbaden Mai 2025
Vielen Dank Klaus!
Einen weiteren Beitrag von Klaus Dettke findet ihr hier 40 Jahre „7000 Eichen“
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