Christos Voutichtis, Wear and Tear #1, Bellevue-Saal, Wiesbaden, April 2025
Christos Voutichtis Wear and Tear – the Accumulation of Catastrophes im Bellevue-Saal Wiesbaden
I take pictures, photographic Pictures, Bright Light, dark room, the right light dark room
Photographic, Speak & Spell 1981, Depeche Mode
So schoss es mir sofort in den Kopf, als sich für mich und die anderen Besucher:innen endlich die Türen zum Bellevue-Saal öffneten und uns Einlass gewährt wurde. Zur „Kurzen Nacht der Museen und Galerien“ sind sehr viele Menschen in Wiesbaden unterwegs und es ist verständlich, dass nicht alle auf einmal den Kunstraum Bellevue Saal betreten können, jedenfalls nicht ohne die Installation und vielleicht auch sich selbst zu gefährden. An der Tür wurden wir darauf hingewiesen, dass es Drinnen, dunkel und nebelig sei. Außerdem könnte es ab und zu auch sehr laut hergehen. Perfekt! Dachte ich, und der Kunstverein Bellevue Saal weiß, wie man sein Publikum zieht. Schon der Passantenstopper auf der Straße direkt vor dem Eingang des Bellevue Saals versprach so Einiges: Christos Voutichtis: „Wear and Tear“ The Accumulation of Catastrophes“ – „Normaler Verschleiß – eine Ansammlung von Katastrophen“ – war dort in schwarzen Lettern auf rotem Grund zu lesen. Keinesfalls möchte Taumelland solchen Versprechungen widerstehen – also flux hinein.
Christos Voutichtis, Wear and Tear #2, Scheinwerfer, Bellevue-Saal, Wiesbaden, April 2025
Drinnen ist es dann – wie versprochen -rot, düster und neblig. Nur ein einziger Scheinwerfer durchdringt den Nebel. Der ganze Saal war in ein schummrig rotes Licht getaucht, dessen Helligkeit mit zunehmender Entfernung zur Leuchtquelle kontinuierlich abnahm. Vor mir taucht in der Gestalt eines quer in den Raum gestellten Bauzauns erst einmal ein Raumteiler auf. Nur an dessen linkem Rand befand sich ein schmaler Einlass. Hier hatten sich „Tor-Wächter“ postiert, die den Zugang zur eigentlichen Installation dahingehend regelten, dass sich nie zu viele Personen gleichzeitig in den abgetrennten Bereich mit der Installation aufhielten. Das steigerte auch noch mal meine Neugier, denn durch das Drahtgitter des Bauzauns konnte ich –Schatten gleich – Personen erkennen, die sich im Kreis um etwas in Ihrer Mitte gruppiert hatten. Ich konnte auch einen zweiten dazu äußeren Kreis erahnen, der aus einer Reihe von auf lange Stative montierten Druckkammerlautsprechern bestand.
(Christos Voutichtis, Wear and Tear #3, Einlass, Bellevue-Saal, Wiesbaden, April 2025
Christos Voutichtis, Wear and Tear #4, Zentrum, Bellevue-Saal, Wiesbaden, April 2025
Schließlich im eigentlichen Kunstraum und der Installation angekommen und nach einer kurzen Orientierungsphase, bemerkte ich auch ein tiefes grollendes Geräusch, dass die Hintergrund Akustik bildete und die Atmosphäre des Raums weiter dramatisierte. Jetzt konnte ich auch erkennen, was die Aufmerksamkeit der Besucher galt. In der Mitte des Raums stand ein rechteckiges Podest, an dessen Kanten Monitore montiert waren. In der Mitte des Podests waren zwei Steine aufeinander montiert worden. Die Monitore waren salopp gesagt via Internet mit dem United States Geological Survey verbunden und gaben quasi in Echtzeit jedes dort detektierte Erdbeben in Form eines Tabelleneintrags aus. Protokolliert wurden die Magnitude, der Ort, die Zeit, die Entfernung und die Tiefe des jeweiligen Bebens. Wenn ein Beben eine gewisse Magnitude überschritt, dann begannen die beiden auf dem Podest montierten Steine sich gegeneinander zudrehen und die dabei entstehenden Geräusche wurden elektronisch verstärkt über die Druckkammerlautsprecher ausgegeben. Das machte schon was her. Bei Beben ab Stärke 4 hätte man wohl auch noch ein Lied hören können – habe ich aber nicht erlebt. interessant war zu sehen wie viele Beben es zur gleichen Zeit rund um den Erdball gibt. Die Erdkruste ist augenscheinlich immer und überall in Bewegung und nicht so fest und statisch, wie es unsere Alltagserfahrung nahelegt. Vor diesem Hintergrund sollte vielleicht auch die Konnotation von „Bodenständigkeit“ nochmal überdacht werden. So im Sinne von „rastlos“ und „unstet“ sein. Aber das nur so am Rande…
Christos Voutichtis, Wear and Tear #5, Monitore, Bellevue-Saal, Wiesbaden, April 2025Christos Voutichtis, Wear and Tear #6, Monitore, Bellevue-Saal, Wiesbaden, April 2025
Die Besucher:innen, die mit mir im Bellevue Saal weilten, schienen alle guter Stimmung zu sein. So wurde auf die Anzeigen auf den Monitoren gedeutet, die außergewöhnliche Beleuchtung zur Selbstinszenierung genutzt, sich unterhalten, am Wein genippt usw. kurz alle Anwesenden hatten irgendwie Spaß an der Inszenierung und schienen sich nicht besonders um Katastrophen zu scheren. Brach sich hier die Lust am eigenen Untergang die Bahn? So á la Ideal:
Komm, wir lassen uns erschießen Sonntag morgens 5 vor 10 Ich kann den Sonntag nicht ertragen Und ich will keinen Montag sehn
Erschiessen, ideal, der Ernst des Lebens 1981
Möglich, Katastrophen erschrecken ja nicht nur sondern faszinieren auch, wenn ich da zum Beispiel an den Titanic Film von James Cameron denke, was wäre von der im Film erzählten Liebesgeschichte ohne den Eisberg und den darauf folgenden Schiffsuntergang geblieben? Höchstens eine ZDF Traumschiff-Episode? – mehr aber auch nicht. So aber war es großes Kino geworden.
Christos Voutichtis, Wear and Tear #7, Besucher, Bellevue-Saal, Wiesbaden, April 2025
Christos Voutichtis, Wear and Tear #8, Basalt, Bellevue-Saal, Wiesbaden, April 2025
Die oben beschriebene Inszenierung mit dem roten Licht etc. hat auch etwas von einer Geisterbahnfahrt auf einem Jahrmarkt. Man weiß was man zu erwarten hat und freut sich dann wenn man es auch bekommen hat. Das sich Christos Voutichis bei der „katastrophalen“ Ausgestaltung des Raums nicht scheut auf bekannte Klischees zurückzugreifen, hat mir imponiert. Die sich daraus ergebene sinnliche Ausgestaltung des Raumes gut gefallen. Eigentlich, so kam es mir, führt die Installation auch ein wenig in die Irre, denn die sehr nüchterne, wissenschaftliche Ästhetik des Setting (Vernetzung, Internet, Monitore, Tabellen) macht aus der Naturgewalt, die ein Erdbeben sein kann, einen (scheinbar) kontrollierbares Ereignis. Die standardisierte genaue Protokollierung des Bebens und die daraus hergestellte Vergleichbarkeit der Beben und ihres Auftretens setzt an die Stelle des unbeherrschbaren Chaos (nicht vorhandene) Kontrolle. Die nüchterne wissenschaftliche Herangehensweise und Aufarbeitung des Bebens bannt und bewältigt seinen Schrecken. Ein konkretes Erdbeben hat damit aber nur wenig zu tun. So verführt die eingenommene und nahegelegte Kontrollposition die man als Besucher:in einnimmt auch eher zu einem „Flirting with Disaster“ als zu einem Nachdenken „über destruktive Kräfte, die natürliche und menschliche Systeme gleichermaßen destabilisieren“ – wie es im Begleittext zur Ausstellung heißt. Einzig die erzeugten Klänge und Geräusche künden von Bedrohung und Gefahr und das machen sie gut.
Ich habe die Ausstellung an einem Sonntagnachmittag noch einmal besucht. Diesmal war ich allein im Bellevue Saal. Der Bauzaun war verschwunden und vom Nebel kaum etwas im Raum. Mit mir war noch eine aufmerksame Ausstellungsbetreuerin anwesend. Sie fragte mich freundlich ob ich mehr Nebel haben wollte: „Wenn es keine Umstände macht – sehr gerne …“ antwortete ich so fingen wir an uns über eigenen Erfahrungen mit Erdbeben, die Dysfunktionalität von Nebelmaschinen, Internetverbindungen usw. auszutauschen. Draußen schien die Sonne.
Christos Voutichtis, Wear and Tear #7, Overview, Bellevue-Saal, Wiesbaden, April 2025
Kunstverein Bellevue-Saal Ihr könnt die Ausstellung noch bis zum 3.05.2025 besuchen. Die Öffnungszeiten sind: Mittwoch bis Freitag: 16 bis 19 Uhr Wochenende: 14 bis 18 Uhr.
Um unsere Webseite für Sie optimal zu gestalten und fortlaufend verbessern zu können, verwenden wir Cookies. Durch die weitere Nutzung der Webseite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu.
Weitere Informationen zu Cookies erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung OKWeiterlesen
Christos Voutichtis Wear and Tear – the Accumulation of Catastrophes im Bellevue-Saal Wiesbaden
So schoss es mir sofort in den Kopf, als sich für mich und die anderen Besucher:innen endlich die Türen zum Bellevue-Saal öffneten und uns Einlass gewährt wurde.
Zur „Kurzen Nacht der Museen und Galerien“ sind sehr viele Menschen in Wiesbaden unterwegs und es ist verständlich, dass nicht alle auf einmal den Kunstraum Bellevue Saal betreten können, jedenfalls nicht ohne die Installation und vielleicht auch sich selbst zu gefährden.
An der Tür wurden wir darauf hingewiesen, dass es Drinnen, dunkel und nebelig sei. Außerdem könnte es ab und zu auch sehr laut hergehen. Perfekt! Dachte ich, und der Kunstverein Bellevue Saal weiß, wie man sein Publikum zieht. Schon der Passantenstopper auf der Straße direkt vor dem Eingang des Bellevue Saals versprach so Einiges:
Christos Voutichtis: „Wear and Tear“ The Accumulation of Catastrophes“ – „Normaler Verschleiß – eine Ansammlung von Katastrophen“ – war dort in schwarzen Lettern auf rotem Grund zu lesen. Keinesfalls möchte Taumelland solchen Versprechungen widerstehen – also flux hinein.
Drinnen ist es dann – wie versprochen -rot, düster und neblig. Nur ein einziger Scheinwerfer durchdringt den Nebel. Der ganze Saal war in ein schummrig rotes Licht getaucht, dessen Helligkeit mit zunehmender Entfernung zur Leuchtquelle kontinuierlich abnahm.
Vor mir taucht in der Gestalt eines quer in den Raum gestellten Bauzauns erst einmal ein Raumteiler auf. Nur an dessen linkem Rand befand sich ein schmaler Einlass. Hier hatten sich „Tor-Wächter“ postiert, die den Zugang zur eigentlichen Installation dahingehend regelten, dass sich nie zu viele Personen gleichzeitig in den abgetrennten Bereich mit der Installation aufhielten. Das steigerte auch noch mal meine Neugier, denn durch das Drahtgitter des Bauzauns konnte ich –Schatten gleich – Personen erkennen, die sich im Kreis um etwas in Ihrer Mitte gruppiert hatten. Ich konnte auch einen zweiten dazu äußeren Kreis erahnen, der aus einer Reihe von auf lange Stative montierten Druckkammerlautsprechern bestand.
Schließlich im eigentlichen Kunstraum und der Installation angekommen und nach einer kurzen Orientierungsphase, bemerkte ich auch ein tiefes grollendes Geräusch, dass die Hintergrund Akustik bildete und die Atmosphäre des Raums weiter dramatisierte. Jetzt konnte ich auch erkennen, was die Aufmerksamkeit der Besucher galt. In der Mitte des Raums stand ein rechteckiges Podest, an dessen Kanten Monitore montiert waren. In der Mitte des Podests waren zwei Steine aufeinander montiert worden. Die Monitore waren salopp gesagt via Internet mit dem United States Geological Survey verbunden und gaben quasi in Echtzeit jedes dort detektierte Erdbeben in Form eines Tabelleneintrags aus. Protokolliert wurden die Magnitude, der Ort, die Zeit, die Entfernung und die Tiefe des jeweiligen Bebens. Wenn ein Beben eine gewisse Magnitude überschritt, dann begannen die beiden auf dem Podest montierten Steine sich gegeneinander zudrehen und die dabei entstehenden Geräusche wurden elektronisch verstärkt über die Druckkammerlautsprecher ausgegeben. Das machte schon was her. Bei Beben ab Stärke 4 hätte man wohl auch noch ein Lied hören können – habe ich aber nicht erlebt. interessant war zu sehen wie viele Beben es zur gleichen Zeit rund um den Erdball gibt. Die Erdkruste ist augenscheinlich immer und überall in Bewegung und nicht so fest und statisch, wie es unsere Alltagserfahrung nahelegt. Vor diesem Hintergrund sollte vielleicht auch die Konnotation von „Bodenständigkeit“ nochmal überdacht werden. So im Sinne von „rastlos“ und „unstet“ sein. Aber das nur so am Rande…
Die Besucher:innen, die mit mir im Bellevue Saal weilten, schienen alle guter Stimmung zu sein. So wurde auf die Anzeigen auf den Monitoren gedeutet, die außergewöhnliche Beleuchtung zur Selbstinszenierung genutzt, sich unterhalten, am Wein genippt usw. kurz alle Anwesenden hatten irgendwie Spaß an der Inszenierung und schienen sich nicht besonders um Katastrophen zu scheren. Brach sich hier die Lust am eigenen Untergang die Bahn? So á la Ideal:
Möglich, Katastrophen erschrecken ja nicht nur sondern faszinieren auch, wenn ich da zum Beispiel an den Titanic Film von James Cameron denke, was wäre von der im Film erzählten Liebesgeschichte ohne den Eisberg und den darauf folgenden Schiffsuntergang geblieben? Höchstens eine ZDF Traumschiff-Episode? – mehr aber auch nicht. So aber war es großes Kino geworden.
Die oben beschriebene Inszenierung mit dem roten Licht etc. hat auch etwas von einer Geisterbahnfahrt auf einem Jahrmarkt. Man weiß was man zu erwarten hat und freut sich dann wenn man es auch bekommen hat. Das sich Christos Voutichis bei der „katastrophalen“ Ausgestaltung des Raums nicht scheut auf bekannte Klischees zurückzugreifen, hat mir imponiert. Die sich daraus ergebene sinnliche Ausgestaltung des Raumes gut gefallen.
Eigentlich, so kam es mir, führt die Installation auch ein wenig in die Irre, denn die sehr nüchterne, wissenschaftliche Ästhetik des Setting (Vernetzung, Internet, Monitore, Tabellen) macht aus der Naturgewalt, die ein Erdbeben sein kann, einen (scheinbar) kontrollierbares Ereignis. Die standardisierte genaue Protokollierung des Bebens und die daraus hergestellte Vergleichbarkeit der Beben und ihres Auftretens setzt an die Stelle des unbeherrschbaren Chaos (nicht vorhandene) Kontrolle. Die nüchterne wissenschaftliche Herangehensweise und Aufarbeitung des Bebens bannt und bewältigt seinen Schrecken.
Ein konkretes Erdbeben hat damit aber nur wenig zu tun. So verführt die eingenommene und nahegelegte Kontrollposition die man als Besucher:in einnimmt auch eher zu einem „Flirting with Disaster“ als zu einem Nachdenken „über destruktive Kräfte, die natürliche und menschliche Systeme gleichermaßen destabilisieren“ – wie es im Begleittext zur Ausstellung heißt.
Einzig die erzeugten Klänge und Geräusche künden von Bedrohung und Gefahr und das machen sie gut.
Ich habe die Ausstellung an einem Sonntagnachmittag noch einmal besucht. Diesmal war ich allein im Bellevue Saal. Der Bauzaun war verschwunden und vom Nebel kaum etwas im Raum. Mit mir war noch eine aufmerksame Ausstellungsbetreuerin anwesend. Sie fragte mich freundlich ob ich mehr Nebel haben wollte: „Wenn es keine Umstände macht – sehr gerne …“ antwortete ich so fingen wir an uns über eigenen Erfahrungen mit Erdbeben, die Dysfunktionalität von Nebelmaschinen, Internetverbindungen usw. auszutauschen.
Draußen schien die Sonne.
Kunstverein Bellevue-Saal
Ihr könnt die Ausstellung noch bis zum 3.05.2025 besuchen. Die Öffnungszeiten sind:
Mittwoch bis Freitag: 16 bis 19 Uhr
Wochenende: 14 bis 18 Uhr.
Ähnliche Beiträge