Unterwegs im Atomium

Assoziationen

Atomium #1 Brüssel, März 2023

Das Atomium in Brüssel braucht wohl keine besondere Vorstellung. Anlässlich der Weltausstellung 1958 in Brüssel errichtet, ist es heute eines der bekanntesten Gebäude Europas und neben der Schokolade und vielleicht noch der EU die Top-Attraktion Brüssels. Das behaupte ich jetzt einfach mal so! Zu seiner Bauzeit waren es aber sicherlich noch die „Brüsseler Spitze“ für die man nach Brüssel kam.
Das Atomium stellt an sich gar kein einzelnes Atom dar, sondern ein aus Neun Atomen bestehendes Eisenkristall genauer gesagt dessen 165 milliardenfache Vergrößerung.

Unterwegs im Atomium #1, Brüssel, März 2023

Es sollte nach seinen Erbauern das Atomzeitalter symbolisieren und die friedliche Nutzung der Kernenergie demonstrieren. So war dann auch während der Weltausstellung unter dem Atomium ein kleiner Atomreaktor zu besichtigen.
Ich musste beim Anblick des Atomiums unwillkürlich an den ebenfalls anlässlich einer Weltausstellung errichteten Eifelturm in Paris denken. Die Weltausstellung von 1889 in Paris feierte 100 Jahre französische Revolution und der Eiffelturm – das damals höchste Gebäude der Welt –  war ihr Wahrzeichen. Das Motto „100 Jahre französische Revolution“ stieß bei vielen der europäischen Monarchien auf Ablehnung. Frankreich war zu der Zeit die einzige große europäische Republik.
So wurde die Weltausstellung von 1889 von vielen der europäischen Monarchien schlichtweg boykottiert.
Der Eiffelturm ist auch eine auf die Spitze getriebene Zurschaustellung bürgerlichen Selbstbewusstseins und Herrschaftsanspruchs.

Der Eiffelturm besteht hauptsächliche aus Eisen und Stahl und hier kommt das Atomium ins Spiel.
Man kann das Atomium, das ja  – wie schon geschrieben –  die milliardenfache Vergrößerung eines Eisenkristalles ist, auch als die Darstellung eines winzigen Teiles des Eiffelturms begreifen.
Ein Monumentales: „The Devil lies in the Details“ !

Atomium Fensterblick, Brüssel, März 2023

Zwei Weltkriege später sind sowohl die Monarchien wie auch die bürgerliche Gesellschaft hinweggefegt worden. Aber es war in dem Zeitraum gelungen den kleinsten Bestandsteil des Eifelturms das Eisenmolekül/Atom – zu spalten und daraus eine furchtbare Waffe zu schmieden. Die natürlich auch umgehend über Hiroshima und Nagasaki ausprobiert worden war. Das beschäftigte die Gesellschaften im Jahre 1958 sehr, denn zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte war es möglich, dass sich die Menschheit einfach – aus Versehen oder aus Kalkül – selbst ausrottet.

So war das Motto der Expo 1958  “A World View: A New Humanism” und der damalige belgische König Baudouin sagte in seiner Eröffnungsrede:

“technology is not enough to make a civilisation, it requires a parallel development of our moral conceptions”.

https://www.bie-paris.org/site/en/1958-brussels

Atomium, Restart by Visual Systems, Brüssel, März 2023

Nur zur Erinnerung: Belgien war damals noch tief in den finstersten Kolonialismus verstrickt. Es war im Kongo Kolonialmacht, der von 1885 – 1908 sogar mal Privatbesitz der belgischen Königs Leopold des Zweiten gewesen war. Nach dessen Unabhängigkeit 1960 ließ der belgische Geheimdienst den Panafrikanisten und ersten Präsident des Kongo Patrice Lumumba ermorden und damit das Land ins Chaos stürzen. Der an Bodenschätzen reiche Kongo wurde im Folgenden zum Spielball verschiedenster Groß- und Regionalmächte. Davon hat er sich bis heute nicht erholt.  

Mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie ist es dann auch nichts geworden. Als ein Beispiel soll der Uran-Abbau auf dem Gebiet der Navajo dienen:  Hier wurde  Jahrzehnte lang – unter anderem auch für die Atombomben des Manhattan Projekts – Uranerz gewonnen. Für die Arbeiter, vornehmlich Navajo gab es nicht den geringsten Schutz vor Radioaktivität. Hier ereignete sich auch der schwerwiegendste zivile Nuklearunfall der amerikanischen Geschichte:
Am 16. Juli 1979 kam es bei einer Uranmühle bei Church Rock im Navajo Reservat zu einem Dammbruch, durch den riesige Mengen radioaktives Material und andere hochtoxische Abwässer über eine weite Fläche ins Grundwasser gelangten. Die Bevölkerung des Reservat wurde erst Tage später über die Verseuchung des Grundwassers informiert. Bis heute leidet die Navajo-Bevölkerung unter einer überdurchschnittlich hohen Zahl an Strahlenkrankheiten.  Nach einem „Neuen Humanismus“ klingt das nicht.
https://www.nzz.ch/international/usa-atomare-verseuchung-im-navajo-reservat-wurde-lange-ignoriert-ld.1705285

Atomium Heizung, Brüssel, März 2023

Gerade erst (22.08.2023) musste ich lesen, das Japan damit beginnen will – gegen den Protest der ortsansässigen Fischer und Anrainerstaaten – radioaktiv kontaminiertes Wasser aus der Atomruine Fukushima in den Pazifik zu leiten. Die 1,3 Millionen Tonnen Wasser sollen über die nächsten dreißig Jahre hinweg über einen eigens dafür gebauten Tunnel ins Meer geleitet werden. Tepco – die Betreiberfirma des zerstörten AKW – weiß einfach nicht mehr wohin mit dem  durch das radioaktive Isotop Tritium verseuchten Wasser.  Zwar soll das Wasser beim Einleiten in den Pazifik so verdünnt werden, dass die Tritium Konzentration unter die gesundheitsgefährdende Norm sinkt, aber mit „friedlicher Nutzung“ hat auch das wenig zu tun – es erscheint mir eher wie eine „Bankrott-Erklärung“,  und „weiterentwickelte moralische Konzepte“ kann ich da auch beim besten Willen nicht erkennen – eher die antiquierten christlichen Totsünden Habgier und Trägheit!

https://www.tagesschau.de/ausland/asien/fukushima-abwasser-meer-100.html (22.08.2023)

Atomium, eisen und Stahl, Brüssel, März 2023

Die Expo von 1958 ist Geschichte, die Sonntagsreden verflogen aber das Atomium ist zum Glück geblieben. Als Symbol taugt es heute nicht mehr, aber es ist immer noch ein wunderschönes Gebäude. Für mich ist es jetzt eher eine Mahnung vor allzu naiver Fortschrittsgläubigkeit. Nach seinem Betreten fährt man mit einem Aufzug in die oberste Kugel und von da aus kann man dann die anderen begehbaren Kugeln erkunden. Man lernt zum Beispiel etwas über seine Erbauung oder kann eine Vielzahl von zur Weltausstellung 1958 produzierte Souvenirs bestaunen. Allem Äußeren zum Trotz dominieren Stahl und Eisen seine Konstruktion. Ich würde sagen das Atomium ruht in sich selbst, indem es  seine äußere Form milliardenfach in sich selbst trägt. Wer kann das schon von sich behaupten?

Drei der Bilder zeigen die Licht und Sound Installation Restart des Künstlerkollektivs Visual Systems:

https://atomium.be/expo_restart

Eine wirklich sehr beeindruckende Installation sehr gut in die Architektur des Atomiums integriert

wurde. Ich habe den wechseln von Licht und Musik gefühlt ein Ewigkeit lang zugeschaut. (Noch bis zum 24/09/2023)

Atomium #3, Brüssel, März 2023

Als Musik zu diesem Beitrag habe ich Kraftwerk Radio-Aktivität ausgewählt. Der Song erschien 1975 auf dem gleichnamigen Album mit folgendem Text:

Radioactivity
Is in the air for you and me
Radioactivity
Discovered by Madame Curie

( … )

Radio Aktivität
Für dich und mich im All entsteht
Radio Aktivität
Strahlt Wellen zum Empfangsgerät

Radio Aktivität
Wenn’s um unsere Zukunft geht
( … )

Radioaktivität, Kraftwerk, Radio-Aktivität, 1975

Mit der Veröffentlichung Ihres Remix Albums „The Mix“ von 1991 änderten Sie den Text in:

Stop Radioaktivität
Weil’s um uns’re Zukunft geht
Stop Radioaktivität
Für dich und mich in All entsteht
Strahlentod und Mutation
Durch die schnelle Kernfusion
Stop Radioaktivität
Weil’s um uns’re Zukunft geht

Radioaktivität, Kraftwerk, The Mix, 1991

Und mit diesem Text spielen sie Ihn bis heute. Es ist das einzige Mal, dass Kraftwerk in ihren Texten offen politisch wurden.

Unterwegs im Atomium, Exit via Shop, Brüssel, März 2023

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