Come gather ‚round, people Wherever you roam And admit that the waters Around you have grown And accept it that soon You’ll be drenched to the bone If your time to you is worth savin‘ And you better start swimmin‘ Or you’ll sink like a stone For the times they are a-changin‘ ( … )
Wie auch im Folgendem: The Times They Are a-Changin’, Bob Dylan, The Times They Are a-Changin’, 1964
Seit dem Jahr 2000/1 wird in Halberstadt das Musikstück ORGAN²/ASLSP ( as slow as possible) aufgeführt (Weblink siehe unten). Ursprünglich von John Cage für Klavier komponiert worden, schrieb er es 1987 für den Organisten Gerd Zacher für Orgel um. Die Uraufführung des Stückes 1989 dauerte dann 29 Minuten. Die Tempovorschrift „as slow as possible“ warf aber augenscheinlich auch generell die Frage auf, wie lange eine adäquate Aufführungsdauer der achtseitgen Partitur von ORGAN²/ASLSP sein könnte. Für die Aufführung in Halberstadt entschied man sich für eine Aufführungsdauer von 639 Jahren! Das entspricht der zu erwarteten Lebensdauer der aufführenden Orgel. Das Konzept leuchtet unmittelbar ein: wenn das Instrument kaputt geht, kommt die Aufführung von selbst zum Stillstand. Außerdem wurde in Halberstadt 1361 die erste „moderne“ Orgel in Betrieb genommen. Es war die erste Orgel mit einer 12 tönigen Klaviatur. Dieses Schema ist bis heute üblich. Somit stand – laut John Cage – die Wiege der modernen Musik in Halberstadt.
Ich besuchte die Aufführung 2019 während meiner Harzreise. Aufführungsort in Halberstadt ist die Sankt Burchardi -Kirche. Die eine wechselvolle Geschichte hinter sich hatte, bevor sie zum Aufführungsort von ORGAN²/ASLSP wurde. Erbaut wurde sie um 1050 und gehörte zu einem Zisterzienserkloster. Jerome Bonaparte säkularisierte sie im Jahr 1810. In den folgenden 190 Jahren diente sie als Scheune, Lagerschuppen, Schweinestall und Schnapsbrennerei, bis sie für ihren heutigen Zweck als Aufführungsort renoviert wurde. Das ist sehr gut gelungen. Die provisorische Anmutung des Raumes unterstreicht die ungeheure zeitliche Dimension des Projekts.
Rechts von der Eingangstür sind auf behelfsmäßig anmutenden Tischen ein paar Merchandising Artikel zu erwerben. Ein Regenschirm, die Partitur etc.. Ich habe mir für 5 € eine CD mit dem damaligen gespielten Klang gekauft. Ein Stunde lang: Impuls 14: dis‘, ais‘, e“. Ich denke die anderen Klänge kaufe ich mit der Zeit auch noch :-).
An den Wänden der Kirche entlang verläuft ein schwarzes Metallband an dem lauter Tafeln angebracht worden sind. Das sind die sogenannten Klangjahre. Bei einer Spende von über 1200 € kann man für eines der Aufführungsjahre eine Metalltafel anbringen lassen und mit einer Botschaft an die Zukunft versehen. Auf der offiziellen Webseite des Projekts gibt es eine Übersicht über die schon verkauften und noch freien Jahre. Auch kann man die Inschriften auf den schon vergebenen Metalltafeln aufrufen. Diese sind sehr vielfältig. So gibt es eine Reihe von Gedenktafeln anlässlich von Familientreffen, Inschriften mit Geburt und Todes Daten, die also eher einem Grabstein entsprechen und eine Vielzahl an Gedichten und Zitaten. So überliefert das Jahr 2484 ein Zitat aus dem Herr der Ringe an die Nachwelt:
„All we have to decide is what to do with the time that is given to us . There are other forces at work in this world, Frodo, besides the will of evil“ Gandalf, to Frodo, in the Mines of Moria, from the Fellowship oft he Ring.
Das zu lesen ist sehr tröstlich!
Gleich neben dran – im Jahre 2485 steht zu lesen:
„Die Wiederholung ist der Tod des Wunders!“
Das sieht taumelland anders, denn ein Wunder ist ein Zeichen und insofern lässt es sich beliebig oft wiederholen. So wie „das Wunder eines neuen Morgens“ oder so.
Ich habe mit dem Klang der Orgel im Ohr viel Zeit mit dem Lesen und inneren Kommentieren der einzelnen Tafeln verbracht. Es ist ja auch so, dass die auf den Tafeln angebrachten Botschaften mit der Klanginstallation für 639 Jahre gemeisam durch die Zeit reisen. Das bedeutet sie werden einen sehr viel längeren Zeitraum überdauern, als es den meisten anderen kontemporären Texten, Namen und Nachrichten vergönnt sein wird. Sie werden im Laufe der Jahre ein viel größeres Publikum haben, als zum Beispiel die Grabsteine auf einem Friedhof – da wird der Grabstein in der Regel nach spätestens 50 Jahren abgeräumt und damit verschwindet auch der Name des Toten. Es wäre auch interessant zu erfahren, wie die Menschen in – sagen wir mal – dreihundert Jahren diese Inschriften deuten werden. Was würde taumelland wohl auf so eine Tafel schreiben und der Nachwelt hinterlassen wollen? Ein zaghaftes „Hallo“ oder ein schlichtes „sorry“? Vielleicht auch in Anlehnung an Ödön von Horvath ein zerknirschtes: „ Ich war eigentlich ganz anders, aber ich kam nur so selten dazu“! Möglicherweise wäre ein burschikoses: „Macht’s gut und Danke für den Fisch!“ (Douglas Adams) angebracht?! Oder etwas so richtig Blödes und gleichzeitig Strategisches wie: „Wer das liest ist doof“! Ich meine damit wäre alles gesagt und die Menschheit in 639 Jahren könnte aufhören zu philosophieren, ob früher denn „Alles besser“ war. Das könnte sehr befreiend sein und wie eine Zeitbombe auf den Konservatismus des Jahres 2640 wirken ;-)! Was würdet Ihr schreiben wollen? Schreibt es mal in die Kommentare!
ORGAN²/ASLSP ist ein durch und durch optimistisches und der Menschheit zugewandtes Projekt. Impliziert es doch, dass es auch in 600 Jahren noch eine an Kunst und Kultur interessierte Menschheit geben wird. Eine die sich Ihrer Vergangenheit bewusst ist und sich mit Ihr auseinandersetzt . So muss sie doch zumindest noch unsere zeitgenössischen Kunstvorstellungen für sich deuten können und auch wollen, ansonsten hätte sie das Projekt schon lange eingestellt. ORGAN²/ASLSP ist eine Hommage an die universelle Gültigkeit menschliche Kreativität.
Bob Dylan veröffentlichte 1964 seinen oben schon zitierten Song „the times they are a changing“. Ein sehr hoffnungsvolles (Protest)-Lied, meinte es doch, dass die autoritären gesellschaftlichen Verhältnisse nicht für immer so erstarrt bleiben werden, sondern dass sich die Gesellschaft zu einer freieren, toleranteren, humanistischeren hin verändern wird:
( … ) Come mothers and fathers Throughout the land And don’t criticize What you can’t understand Your sons and your daughters Are beyond your command Your old road is rapidly agin‘ Please get out of the new one If you can’t lend your hand For the times they are a-changin‘ ( … )
Im Jahre 1964 lag das klarer auf der Hand als heute. Die besungenen Söhne und Töchter von damals waren wahrscheinlich Hippies und Bürgerrechtsaktivisten auf dem Weg zum „Summer of Love“. Aber in den 2000er Jahren ist es schwierig zu sagen, wer denn diese Kinder sein sollten die „beyond your command“ sind: YouTuber? Ich AGler auf dem Weg ins Eigenheim? Fitnessjunkies? Oder alles zusammen ? Kurz gesagt von heute aus gesehen ist die Aussage des Songs nicht mehr so eindeutig positiv. Die Welt hat sich weiter gedreht und das Lied und der Text sind gealtert und haben nun einen mehrdeutigeren Bedeutungshorizont. – „for the times they are a-changin’“
Das führt taumelland auf eine interessante Fährte. Um die zeitliche Dimension von ORGAN²/ASLSP besser begreifen zu können reist taumelland einfach mal 639 Jahre in die Vergangenheit ins 14 Jahrhundert (1361) – also ins Mittelalter zurück. Der Einfachheit halber beschränke ich mich mal auf den deutschen Sprachraum. Es war die Epoche des Feudalismus, einer auf dem Lehenswesen beruhenden Gesellschaft, bei der die Bewohner zum belehnten Land dazu gehörten. Mobilität auf dem Arbeitsmarkt so wie wir sie heute kennen war damals in einer vorkapitalistischen Gesellschaftsordnung weder erwünscht noch möglich. Die Menschen lebten in kleinen auf sich selbst bezogenen Gemeinschaften.
Die Zeit war etwas Zyklisches (ein Rad) und die Jahreszeiten gaben den Rhythmus der Beschäftigungen vor: Feldarbeit, Feste, Ernte, Kriege usw.. Die Planeten kreisten in einem Kosmos in dessen Mittelpunkt sich die Erde befand und über den noch Gott uneingeschränkt herrschte. Die Kirche hatte mit Ihren Klöstern und Bibliotheken ein Bildungs- und Wissensmonopol inne. Die ersten drei Universitäten nördlich der Alpen waren im 14.Jahrhundert gerade erst gegründet worden (1348 in Prag, 1365 in Wien und 1386 in Heidelberg). Kunst und Architektur waren im Mittelalter noch ganz auf das jenseitige Reich Gottes ausgerichtet und behandelten vornehmlich religiöse Motive. Es war eine fromme und von der christlichen Religion geprägte Zeit. Das gilt insbesondere auch, wenn man bedenkt, was das Mittelalter an (Kunst)Werken hinterlassen hat.
Deutschland war ein Flickenteppich aus Fürstentümern, Bistümern, Grafschaften etc.. Es herrschte ein Mosaik an Sprachen und Dialekten vor. Die Bauern und „einfachen“ Leute sprachen meist nicht die Sprachen ihres Landesherrn – die vornehmlich Latein sprachen. Es gab mit dem Mittelhochdeutschen zwar eine einheitliche Schriftsprache, aber kaum jemand konnte lesen und schreiben. Wie schon gesagt, war das Reisen stark eingeschränkt und äußerst müheselig. So dauerte eine circa 800 km lange Reise von Hamburg nach München so 3 bis 5 Wochen, je nachdem ob man zu Fuß ( die meisten Menschen )oder mit dem Pferd unterwegs war. Hierbei sind widrige äußere Umstände wie Wetter, Krankheit, Raubüberfälle nicht mit berücksichtigt. Heute dauert das mit dem Zug circa 6 Stunden und mit dem Flieger nicht mal ganz 2 Stunden.
Auch die Mentalität der Menschen im Mittelalter muss eine ganz andere gewesen sein. So waren Sie loyal gegenüber einem Glauben oder Monarchen und nicht wie wir heute gegenüber einer Gesellschaft und einer Kultur. Auch das heutige ubiquitäre Streben nach Selbstverwirklichung, gab es im Mittelalter so nicht, das beginnt Ideengeschichtlich erst 150 Jahre später mit Luther. Kultur im Mittelalter war vom christlichen Glauben geprägt, dessen Werte auf Erden zu beachten und zu leben waren. Die majestätischen gotischen Kathedralen zum Beispiel sollten das himmlische Jerusalem anschaulich machen. Unserer heutigen säkularisierten Kultur stehen wir sehr viel kritischer gegenüber. Seit Rousseau steht sie (die menschliche Kultur) geradezu unter Generalverdacht, die eigentliche Wurzel allen Übels zu sein. Der Mensch ist gut! Und Kultur hat ihn verdorben! Viele favorisieren für sich heute die Vergangenheit: ein einfaches quasi mittelalterlichen „Leben“ in einer ursprünglichen Natur fernab von einer mehrdeutigen postmodernen Lebenswirklichkeit.
Das führt taumelland wieder ins Jahr 2019 zurück. Wir können heute die Lebenswelt des Mittelalters zwar deuten, aber verstehen, geschweige denn darin leben könnten wir nicht. Genauso wird es den Menschen des Jahres 2640 mit uns ergehen. In diesem Sinne ist es vielleicht auch gar nicht so wichtig ob ORGAN²/ASLSP wirklich bis in das Jahr 2640 aufgeführt wird. Wichtig für uns ist nur daran zu glauben. Aus unserer heuten Perspektive heraus haben wir damit eine menschliche Zukunft!
( … ) The line it is drawn and the curse it is cast The slow one now will later be fast As the present now will later be past The order is rapidly fadin‘ And the first one now will later be last For the times they are a-changin
Alles wird gut!
P.S. der letzte Klangwechsel (Impuls 15 ) war am 05.09.2020. Der nächste wird am 05.02.2022 (Impuls 16) stattfinden. Vielleicht sehen wir uns da ja!
ORGAN²/ASLSP – Link zur Projektseite. Siehe dort auch zu den Klangwechseln und den Klangjahren.
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Wie auch im Folgendem: The Times They Are a-Changin’, Bob Dylan, The Times They Are a-Changin’, 1964
Seit dem Jahr 2000/1 wird in Halberstadt das Musikstück ORGAN²/ASLSP ( as slow as possible) aufgeführt (Weblink siehe unten). Ursprünglich von John Cage für Klavier komponiert worden, schrieb er es 1987 für den Organisten Gerd Zacher für Orgel um. Die Uraufführung des Stückes 1989 dauerte dann 29 Minuten.
Die Tempovorschrift „as slow as possible“ warf aber augenscheinlich auch generell die Frage auf, wie lange eine adäquate Aufführungsdauer der achtseitgen Partitur von ORGAN²/ASLSP sein könnte.
Für die Aufführung in Halberstadt entschied man sich für eine Aufführungsdauer von 639 Jahren!
Das entspricht der zu erwarteten Lebensdauer der aufführenden Orgel. Das Konzept leuchtet unmittelbar ein: wenn das Instrument kaputt geht, kommt die Aufführung von selbst zum Stillstand. Außerdem wurde in Halberstadt 1361 die erste „moderne“ Orgel in Betrieb genommen. Es war die erste Orgel mit einer 12 tönigen Klaviatur. Dieses Schema ist bis heute üblich. Somit stand – laut John Cage – die Wiege der modernen Musik in Halberstadt.
Ich besuchte die Aufführung 2019 während meiner Harzreise. Aufführungsort in Halberstadt ist die Sankt Burchardi -Kirche. Die eine wechselvolle Geschichte hinter sich hatte, bevor sie zum Aufführungsort von ORGAN²/ASLSP wurde. Erbaut wurde sie um 1050 und gehörte zu einem Zisterzienserkloster. Jerome Bonaparte säkularisierte sie im Jahr 1810. In den folgenden 190 Jahren diente sie als Scheune, Lagerschuppen, Schweinestall und Schnapsbrennerei, bis sie für ihren heutigen Zweck als Aufführungsort renoviert wurde. Das ist sehr gut gelungen. Die provisorische Anmutung des Raumes unterstreicht die ungeheure zeitliche Dimension des Projekts.
Rechts von der Eingangstür sind auf behelfsmäßig anmutenden Tischen ein paar Merchandising Artikel zu erwerben. Ein Regenschirm, die Partitur etc.. Ich habe mir für 5 € eine CD mit dem damaligen gespielten Klang gekauft. Ein Stunde lang: Impuls 14: dis‘, ais‘, e“. Ich denke die anderen Klänge kaufe ich mit der Zeit auch noch :-).
An den Wänden der Kirche entlang verläuft ein schwarzes Metallband an dem lauter Tafeln angebracht worden sind. Das sind die sogenannten Klangjahre. Bei einer Spende von über 1200 € kann man für eines der Aufführungsjahre eine Metalltafel anbringen lassen und mit einer Botschaft an die Zukunft versehen.
Auf der offiziellen Webseite des Projekts gibt es eine Übersicht über die schon verkauften und noch freien Jahre. Auch kann man die Inschriften auf den schon vergebenen Metalltafeln aufrufen.
Diese sind sehr vielfältig. So gibt es eine Reihe von Gedenktafeln anlässlich von Familientreffen, Inschriften mit Geburt und Todes Daten, die also eher einem Grabstein entsprechen und eine Vielzahl an Gedichten und Zitaten. So überliefert das Jahr 2484 ein Zitat aus dem Herr der Ringe an die Nachwelt:
Das zu lesen ist sehr tröstlich!
Gleich neben dran – im Jahre 2485 steht zu lesen:
Das sieht taumelland anders, denn ein Wunder ist ein Zeichen und insofern lässt es sich beliebig oft wiederholen. So wie „das Wunder eines neuen Morgens“ oder so.
Ich habe mit dem Klang der Orgel im Ohr viel Zeit mit dem Lesen und inneren Kommentieren der einzelnen Tafeln verbracht. Es ist ja auch so, dass die auf den Tafeln angebrachten Botschaften mit der Klanginstallation für 639 Jahre gemeisam durch die Zeit reisen. Das bedeutet sie werden einen sehr viel längeren Zeitraum überdauern, als es den meisten anderen kontemporären Texten, Namen und Nachrichten vergönnt sein wird. Sie werden im Laufe der Jahre ein viel größeres Publikum haben, als zum Beispiel die Grabsteine auf einem Friedhof – da wird der Grabstein in der Regel nach spätestens 50 Jahren abgeräumt und damit verschwindet auch der Name des Toten.
Es wäre auch interessant zu erfahren, wie die Menschen in – sagen wir mal – dreihundert Jahren diese Inschriften deuten werden. Was würde taumelland wohl auf so eine Tafel schreiben und der Nachwelt hinterlassen wollen?
Ein zaghaftes „Hallo“ oder ein schlichtes „sorry“?
Vielleicht auch in Anlehnung an Ödön von Horvath ein zerknirschtes: „ Ich war eigentlich ganz anders, aber ich kam nur so selten dazu“!
Möglicherweise wäre ein burschikoses: „Macht’s gut und Danke für den Fisch!“ (Douglas Adams) angebracht?!
Oder etwas so richtig Blödes und gleichzeitig Strategisches wie: „Wer das liest ist doof“! Ich meine damit wäre alles gesagt und die Menschheit in 639 Jahren könnte aufhören zu philosophieren, ob früher denn „Alles besser“ war. Das könnte sehr befreiend sein und wie eine Zeitbombe auf den Konservatismus des Jahres 2640 wirken ;-)! Was würdet Ihr schreiben wollen? Schreibt es mal in die Kommentare!
ORGAN²/ASLSP ist ein durch und durch optimistisches und der Menschheit zugewandtes Projekt. Impliziert es doch, dass es auch in 600 Jahren noch eine an Kunst und Kultur interessierte Menschheit geben wird. Eine die sich Ihrer Vergangenheit bewusst ist und sich mit Ihr auseinandersetzt . So muss sie doch zumindest noch unsere zeitgenössischen Kunstvorstellungen für sich deuten können und auch wollen, ansonsten hätte sie das Projekt schon lange eingestellt. ORGAN²/ASLSP ist eine Hommage an die universelle Gültigkeit menschliche Kreativität.
Bob Dylan veröffentlichte 1964 seinen oben schon zitierten Song „the times they are a changing“. Ein sehr hoffnungsvolles (Protest)-Lied, meinte es doch, dass die autoritären gesellschaftlichen Verhältnisse nicht für immer so erstarrt bleiben werden, sondern dass sich die Gesellschaft zu einer freieren, toleranteren, humanistischeren hin verändern wird:
Im Jahre 1964 lag das klarer auf der Hand als heute. Die besungenen Söhne und Töchter von damals waren wahrscheinlich Hippies und Bürgerrechtsaktivisten auf dem Weg zum „Summer of Love“.
Aber in den 2000er Jahren ist es schwierig zu sagen, wer denn diese Kinder sein sollten die „beyond your command“ sind: YouTuber? Ich AGler auf dem Weg ins Eigenheim? Fitnessjunkies? Oder alles zusammen ? Kurz gesagt von heute aus gesehen ist die Aussage des Songs nicht mehr so eindeutig positiv. Die Welt hat sich weiter gedreht und das Lied und der Text sind gealtert und haben nun einen mehrdeutigeren Bedeutungshorizont. – „for the times they are a-changin’“
Das führt taumelland auf eine interessante Fährte. Um die zeitliche Dimension von ORGAN²/ASLSP besser begreifen zu können reist taumelland einfach mal 639 Jahre in die Vergangenheit ins 14 Jahrhundert (1361) – also ins Mittelalter zurück. Der Einfachheit halber beschränke ich mich mal auf den deutschen Sprachraum. Es war die Epoche des Feudalismus, einer auf dem Lehenswesen beruhenden Gesellschaft, bei der die Bewohner zum belehnten Land dazu gehörten. Mobilität auf dem Arbeitsmarkt so wie wir sie heute kennen war damals in einer vorkapitalistischen Gesellschaftsordnung weder erwünscht noch möglich. Die Menschen lebten in kleinen auf sich selbst bezogenen Gemeinschaften.
Die Zeit war etwas Zyklisches (ein Rad) und die Jahreszeiten gaben den Rhythmus der Beschäftigungen vor: Feldarbeit, Feste, Ernte, Kriege usw.. Die Planeten kreisten in einem Kosmos in dessen Mittelpunkt sich die Erde befand und über den noch Gott uneingeschränkt herrschte.
Die Kirche hatte mit Ihren Klöstern und Bibliotheken ein Bildungs- und Wissensmonopol inne.
Die ersten drei Universitäten nördlich der Alpen waren im 14.Jahrhundert gerade erst gegründet worden (1348 in Prag, 1365 in Wien und 1386 in Heidelberg).
Kunst und Architektur waren im Mittelalter noch ganz auf das jenseitige Reich Gottes ausgerichtet und behandelten vornehmlich religiöse Motive. Es war eine fromme und von der christlichen Religion geprägte Zeit. Das gilt insbesondere auch, wenn man bedenkt, was das Mittelalter an (Kunst)Werken hinterlassen hat.
Deutschland war ein Flickenteppich aus Fürstentümern, Bistümern, Grafschaften etc.. Es herrschte ein Mosaik an Sprachen und Dialekten vor. Die Bauern und „einfachen“ Leute sprachen meist nicht die Sprachen ihres Landesherrn – die vornehmlich Latein sprachen. Es gab mit dem Mittelhochdeutschen zwar eine einheitliche Schriftsprache, aber kaum jemand konnte lesen und schreiben. Wie schon gesagt, war das Reisen stark eingeschränkt und äußerst müheselig.
So dauerte eine circa 800 km lange Reise von Hamburg nach München so 3 bis 5 Wochen, je nachdem ob man zu Fuß ( die meisten Menschen )oder mit dem Pferd unterwegs war. Hierbei sind widrige äußere Umstände wie Wetter, Krankheit, Raubüberfälle nicht mit berücksichtigt.
Heute dauert das mit dem Zug circa 6 Stunden und mit dem Flieger nicht mal ganz 2 Stunden.
Auch die Mentalität der Menschen im Mittelalter muss eine ganz andere gewesen sein. So waren Sie loyal gegenüber einem Glauben oder Monarchen und nicht wie wir heute gegenüber einer Gesellschaft und einer Kultur. Auch das heutige ubiquitäre Streben nach Selbstverwirklichung, gab es im Mittelalter so nicht, das beginnt Ideengeschichtlich erst 150 Jahre später mit Luther. Kultur im Mittelalter war vom christlichen Glauben geprägt, dessen Werte auf Erden zu beachten und zu leben waren. Die majestätischen gotischen Kathedralen zum Beispiel sollten das himmlische Jerusalem anschaulich machen. Unserer heutigen säkularisierten Kultur stehen wir sehr viel kritischer gegenüber. Seit Rousseau steht sie (die menschliche Kultur) geradezu unter Generalverdacht, die eigentliche Wurzel allen Übels zu sein. Der Mensch ist gut! Und Kultur hat ihn verdorben!
Viele favorisieren für sich heute die Vergangenheit: ein einfaches quasi mittelalterlichen „Leben“ in einer ursprünglichen Natur fernab von einer mehrdeutigen postmodernen Lebenswirklichkeit.
Das führt taumelland wieder ins Jahr 2019 zurück. Wir können heute die Lebenswelt des Mittelalters zwar deuten, aber verstehen, geschweige denn darin leben könnten wir nicht. Genauso wird es den Menschen des Jahres 2640 mit uns ergehen.
In diesem Sinne ist es vielleicht auch gar nicht so wichtig ob ORGAN²/ASLSP wirklich bis in das Jahr 2640 aufgeführt wird. Wichtig für uns ist nur daran zu glauben. Aus unserer heuten Perspektive heraus haben wir damit eine menschliche Zukunft!
Alles wird gut!
P.S. der letzte Klangwechsel (Impuls 15 ) war am 05.09.2020. Der nächste wird am 05.02.2022 (Impuls 16) stattfinden. Vielleicht sehen wir uns da ja!
ORGAN²/ASLSP – Link zur Projektseite. Siehe dort auch zu den Klangwechseln und den Klangjahren.
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